Begrenzt die private Wirtschaftsmacht!

Mittwoch, den 21. Dezember 2011 um 18:45 Uhr

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Der Einfluss von Banken und Firmen ist zu groß geworden. Zeit, den Liberalismus wieder ernst zu nehmen: Eigentum sollte nur durch Arbeit entstehen.

Man kann nicht behaupten, dass der Kapitalismus sich aktuell großer Popularität erfreut. Bereits im August 2010 gaben laut emnid 88 Prozent der Bundesbürger an, dass sie sich eine "neue Wirtschaftsordnung" wünschen, da der Kapitalismus weder für "sozialen Ausgleich in der Gesellschaft" noch für den "Schutz der Umwelt" oder einen "sorgfältigen Umgang mit den Ressourcen" sorge. Inzwischen ist ein weiterer gewichtiger Grund hinzu gekommen: Die aktuelle Wirtschaftsordnung kollidiert immer unverfrorener mit den Grundregeln demokratischer Gesellschaftsgestaltung.


Längst wird der Kurs Europas nicht mehr von gewählten Regierungen bestimmt, sondern von großen Wirtschaftsunternehmen, in erster Linie solchen der Finanzwirtschaft. Die Banker diktieren die politische Agenda und haben mittlerweile mit Griechenland und Italien in zwei europäischen Ländern sogar direkt die Regierungsgeschäfte übernommen.

Die Euro-Krise wurde durch diese Außerkraftsetzung der Demokratie nicht gemildert, im Gegenteil. Was ist der Kern dieser Krise? Eine beliebte Erklärung sieht die Staaten in der Verantwortung. Viele Länder hätten jahrelang über ihre Verhältnisse gelebt, jetzt müssten sie zum Sparen gezwungen werden. Das passt ins Klischee: Der rationale Markt zwingt die irrationale Politik zur Vernunft. Es passt nur leider nicht zu den Tatsachen: Die hohe Staatsverschuldung in Europa ist im Wesentlichen ein Produkt der letzten 20 Jahre, beispiellos angestiegen ist sie seit 2008. In diesen 20 Jahren aber wurde das europäische Sozialmodell nicht auf-, sondern abgebaut. Es waren Jahre eines europaweiten Steuerdumpingwettlaufs, in denen Unternehmens- und Vermögenssteuern sowie Spitzensteuersätze drastisch gesunken sind. Speziell seit 2008 wurden Billionen öffentlicher Gelder nicht etwa zur Stützung verarmter Arbeitsloser oder mittelloser Pensionäre verwendet, sondern zur Rettung der Banker.

Auch in den filigranen Windungen moderner Finanzmärkte gilt: Geld verschwindet nicht, es wechselt immer nur den Besitzer. Im Gleichschritt mit der Staatsverschuldung ist daher auch das Vermögen der europäischen Oberschicht explodiert. Knapp ein Prozent der Bevölkerung in Deutschland sind Geldvermögensmillionäre. Laut einer jüngeren Studie wachsen deren Vermögen im Schnitt um acht Prozent jährlich. Das durchschnittliche Wirtschaftswachstum in Deutschland liegt seit der Jahrtausendwende bei einem Prozent. Die These der Occupy-Bewegung, dass nur ein Prozent der Bevölkerung zu den Gewinnern – und 99 Prozent zu den Verlierern – der heutigen Ordnung gehören, beschreibt also ziemlich exakt die Realität. Und diese Realität hat System und ist System.

Der alte Liberalismus eines John Locke sah nur solches Eigentum als legitimiert an, das durch eigene Arbeit entsteht. Eine Wirtschaftsordnung, die diesen Grundsatz ernst nähme, wäre keine kapitalistische mehr. Denn Eigentum an großen Wirtschaftskonzernen und Milliardenvermögen entstehen nicht durch eigene Arbeit, sondern durch Erbschaft, Spekulation und die Ausbeutung fremder Arbeit. Zugleich erzeugt solches Eigentum Macht: Erpressungsmacht zur Durchsetzung der eigenen Interessen. Und diese Macht wuchs mit jeder unter Herbetung neoliberaler Glaubenssätze auf den Finanz- und Arbeitsmärkten zerstörten Regulierung. Am Ende trat ein, wovor der Ökonom Walter Eucken bereits vor über 50 Jahren gewarnt hatte: Private Wirtschaftsmacht, so Euckens These, lässt sich nicht kontrollieren. Entweder es gelingt, ihre Entstehung zu verhindern – oder sozialer Ausgleich, Freiheit und Demokratie sind nicht zu retten.

Wir erleben nichts weniger als eine Systemkrise

Zu den Folgen privater Wirtschaftsmacht gehört, dass sich die Einkommen immer stärker in den Händen der Oberschicht konzentrieren, also bei jenen, die einen Großteil dieser Einkommen sparen, weil sie ohnehin schon mehr als genug haben. Diejenigen, die ihre Einkünfte für existentielle Lebensbedürfnisse brauchen, haben dagegen immer weniger, was den Absatz realer Güter schwächt. Lange Zeit wurde versucht, diese Diskrepanz durch schuldenfinanzierte Nachfrage – des Staates oder der Konsumenten – zu überbrücken. Diese Scheinlösung kommt jetzt an ihre Grenze. Was wir aktuell erleben, ist daher nicht weniger als eine Systemkrise.

Wirtschaftliche Ressourcen ins Belieben privater Eigentümer zu stellen, wurde seit Adam Smith damit gerechtfertigt, dass Markt und Wettbewerb mit unsichtbarer Hand die egoistischen Bestrebungen in eine dem Allgemeinwohl nützliche Richtung lenken. Wo das nicht funktioniert, verliert privates Wirtschaftseigentum seine Legitimität. Bei Banken und großen Konzernen funktioniert es erkennbar nicht mehr. Die Alternative ist nicht schlichte Verstaatlichung, sondern Gemeineigentum: Eigentum, das sicherstellt, dass das Wirtschaften nicht mehr der Maximalrendite, sondern dem Gemeinwohl verpflichtet ist.

Der Gründungsunternehmer im Schumpeterschen Sinn ist und bleibt eine wichtige Quelle von Innovation und Flexibilität. Er verdient vor allem Finanzierungschancen, die ihm renditegetriebene Zockerbanken kaum noch gewähren. Wächst allerdings ein Unternehmen, geht sein Erfolg immer weniger allein auf den Ideengeber zurück. Spätestens im Erbfall sollten größere Unternehmen ins Eigentum der Mitarbeiter übergehen. Ein kreativer Sozialismus nimmt die Ideen des alten Liberalismus ernst: Es geht nicht darum, Eigentum zu überwinden, sondern dafür zu sorgen, dass es nur noch durch eigene Arbeit entstehen kann.



Sahra Wagenknecht

wurde 1969 in Jena geboren, zur Schulzeit zog sie nach Ost-Berlin. Sie durfte nicht studieren, trat aber ein Jahr vor dem Mauerfall in die SED ein. Ab 1991 gehörte sie zum Parteivorstand der PDS, später zur Kommunistischen Plattform. Heute ist sie stellvertretende Parteivorsitzende und Vize-Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag. Zuletzt erschien von ihr "Freiheit statt Kapitalismus".

Quelle:http://www.zeit.de/wirtschaft/2011-12/wagenknecht-kapitalismus