DIE GLOBALE KRISE UND DER DOMESTIZIERTE MENSCH - ARTGERECHTES LEBEN DURCH SELF-EMPOWERMENT

Drucken

Ich widme diese Schrift dem mutigen Forscher Stanley Milgram
und allen anderen,
die aus Verantwortung für die Zukunft der Menschheit dazu bereit sind,
Liebgewordenes in Frage zu stellen, sich Autoritäten zu widersetzen
um neue Wege zu wagen.

Kapitel 1: Selbst-Regulation und globale Krise

"Schau zu den Sternen auf und nicht zu deinen Füßen ..
Wundere dich darüber, was das Universum ausmacht …
Es ist wichtig, dass du nicht aufgibst.
Entfalte deine Vorstellungskraft.
Forme die Zukunft.“

Stephen Hawking 2018


Es gibt eine weit verbreitete Vorstellung, dass wir alle in uns eine eigene unabhängige innere Instanz haben, einen Wesenskern, unser „Selbst“. Wenn wir mit dieser Instanz verbunden sind, dann sind wir in der Lage, uns selbst, unsere Bedürfnisse und unsere Einbindung in ein größeres Ganzes wahrzunehmen, unabhängig von den Erwartungen, Überzeugungen und Bedürfnissen anderer. Das ermöglicht ein selbstbestimmtes Leben, in Übereinstimmung mit einem größeren Ganzen. Das ermöglicht SELBST-Regulation und SELBST-Bestimmung.
In der Traumatherapie zeigt sich täglich: Diese Verbindung zum eigenen Selbst kann durch individuelle traumatische Erfahrungen von Verlust oder von Gewalt verloren gehen, sodass die Fähigkeit für SELBST-Regulation und SELBST-Bestimmung beeinträchtigt wird.
Hier wird die Auffassung vertreten und begründet, dass es darüber hinaus eine kollektive Traumatisierung gibt, welche durch eine Zivilisation bedingt ist, die gezielt die Selbstverbindung und damit die SELBST-Bewusstsein und Selbst-Bestimmung des Einzelnen stört. Diese kollektive SELBST-Entfremdung ist die Ursache der aktuellen Krise.
Daraus folgt: eine individuelle SELBST-Integration ist notwendig und möglich, um eine kollektive Selbst-Ermächtigung zu bewirken.

1.1. Präludium Natur-Idylle
Gerade komme ich vom morgendlichen Joggen im Englischen Garten zurück. Morgensonne, der Gesang der Vögel . . Der Bärlauch blüht, die weißen Blüten schauen aus wie sich entfaltende Silvesterraketen. Der Duft nach Knoblauch ... Über der Wiese noch Nebelschwaden und beim Laufen wird im Morgennebel immer deutlicher: eine Schafherde, das Blöken der jungen Lämmer, der strenge Geruch des Schafkots …
Kennst du das auch? Ein Morgen im Wald, eine sternklare Nacht, ein Weg zwischen Dünen und dem sturmgepeitschten Meer..... Wir werden in der Tiefe berührt durch die Schönheit, durch die Größe der Natur. Die es schon gab, als es noch keine Menschen gab. Wir spüre eine Resonanz in uns, so als gäbe es auch in uns einen Teil, den es schon vor Jahrtausenden gab. Dieser Teil in uns ist unser SELBST. Das tiefe Wissen: auch ich bin ein Teil dieser Natur, ich gehöre dazu. Ein Gefühl des Erschauderns vor etwas Größerem, das auch mich hervorgebracht hat, dessen Teil ich bin, mit dem ich verbunden bin. An dessen Größe, Ordnung und Würde ich teilhaben darf, beschenkt, aber auch verantwortlich.
Der Kontrast zwischen solchen Naturerfahrungen und den täglich eskalierenden von Menschen gemachten globalen Katastrophen könnte nicht größer sein. Unvermeidlich tauchen dadurch Fragen auf – und Hypothesen. Ist der Mensch nicht Teil der Natur? Woher kommt dieses erschreckende aggressive und selbstzerstörerische Potenzial? Ist es angeboren, in unseren Genen verankert? Ist es Schicksal – oder haben wir es selber hervorgebracht und können es deshalb auch selber steuern und beeinflussen?


1.2. Selbstregulation in der Natur
In der Natur gibt es das Prinzip der Selbstregulation. Es steuert einmal das Zusammenleben innerhalb einer Art.
Bei den gesellig lebenden Tieren, Vögeln, aber auch bei Säugetieren - gibt es eine Rangordnung. Das Alpha-Tier – bei Pferden die Leitstute, bei Elefanten die Leit-Kuh – zeichnet sich nicht ausschließlich durch die größere physische Kraft aus, sondern durch seine Fähigkeit, gut für die ganze Herde sogen zu können. Diese Rangordnung bewirkt z.B. bei den Dohlen, dass die ranghöhere gegenüber einer unmittelbar im Rang nach ihr stehenden Dohle stärkere Tendenz hat, ihre Dominanz zu zeigen, als gegenüber einer im Rang weit nach ihr stehenden. Bei einem Konflikt zwischen zwei Dohlen (z.B. Nr. 6 und Nr. 8) wirkt das wie eine kollektive Selbstregulation: eine ranghöhere Dohle (Nr. 4) wird eher Nr. 8 unterstützen als Nr. 6.
So reguliert eine „Rangordnung unter Gleichen“ das Zusammenleben einer Gruppe.
Es gibt auch eine Selbstregulation zwischen unterschiedlichen Arten. Bekannt ist das Beispiel der Füchse und Mäuse: nimmt die Mäusepopulation zu, dann wachsen mehr Füchse heran, die zur Verminderung der Mäuse beitragen. Und umgekehrt. So pendelt die Population dieser beiden Arten um einen Mittelwert.

Selbstregulation gibt es auch zwischen Pflanzen und Tieren!
Pflanzen sind gar nicht so wehrlos, wie wir denken. Wird zum Beispiel eine Kleewiese von zu vielen Schafen überweidet, dann produziert der Klee chemische Stoffe, welche die Vermehrung der Schafe wirksam verhindern, nach dem Prinzip der „Antibaby-Pille“!
Oder wenn Kudu-Antilopen künstlich in einem zu kleinen Areal eingesperrt werden und dadurch zu intensiv die Blätter und Zweige ihres „Lieblingsbaums“ abweiden, dann entwickelt dieser sehr rasch giftige Bitterstoffe, welche den Tod der Kudus herbeiführen. Und: diese Bäume senden sogar entsprechende „Botschaften“ an bisher noch unbetroffene Bäume ihrer Art, sodass diese ebenfalls Bitterstoffe entwickeln – sozusagen vorbeugend!
Diese Selbstregulation – so scheint es – regelt das Zusammenleben unterschiedlicher Arten und Gruppen und dient damit dem Überleben aller Beteiligten.

Ist auch der Mensch in diese Selbstregulation der Natur einbezogen? Hat die Natur vergessen, den Menschen mit Selbstregulation auszustatten? Oder hat Homo sapiens selbst die Fähigkeit, das „Organ“ zu seiner Selbstregulation blockiert?


1.3 Die Aspekte der globalen Selbst-Zerstörung ….

EUROPA
Bankkonzerne lassen ihre Angestellte toxische Papiere verkaufen und schädigen dadurch die Kunden, und riskieren damit einen Bankencrash.
Ingenieur*innen fast aller Autokonzerne bauen in die Dieselmotoren eine betrügerische Software ein, und schädigen dadurch das Klima, den Kunden – und letztlich den eigenen Konzern.
Die großen Wirtschafts-Konzerne und Finanz-Institute, so zeigt es sich immer wieder, fühlen sich nur dem einen Ziel verpflichtet, den Profit zu steigern, koste es die „anderen“, was es wolle. Zu diesem Zweck erhöhen sie den Leistungsdruck in den Betrieben, bei stagnierenden Löhnen. Sie entlassen langjährige und/oder erfahrene Mitarbeiter in die Arbeitslosigkeit. Immer mehr Familien wird so die Teilhabe an der Gesellschaft genommen, ihnen und ihren Kindern wird jede Perspektive auf eine materiell gesicherte Zukunft genommen.

Die Wirtschafts- und Finanzkonzerne finden Mittel und Wege – und willfährige Politiker, die ihnen dabei behilflich sind - ihre hohen Gewinne noch mehr zu steigern, indem sie immer weniger Steuern zahlen. Ausgerechnet der Politiker, der als Finanzminister Luxemburgs diese Praktiken legalisierte, Jean-Claude Juncker, wurde zum Präsidenten der EU-Kommission. Liegt es da nicht auf der Hand, wessen Interessen er vertritt. Und mit ihm alle, die ihn unterstützen und tolerieren.
Dazu passt, dass der Whistleblower, der das öffentlich gemacht hat, vor Gericht gestellt wurde, wegen „Geheimnisverrat“.
Die Folgen sind seit Jahren entzogenen Steuern in zig-Milliarden Höhe. Der öffentlichen Hand fehlen die Mittel, um die Infrastrukturen zu erhalten, von denen wir alle – einschließlich der Mitarbeiter*innen der Konzerne – abhängig sind. Ein Viertel der öffentlichen Schwimmbäder in Deutschland sind renovierungsbedürftig und geschlossen. Ein Viertel der Schüler*innen haben deshalb keinen Schwimmunterricht.
Das ist das Erfolgsprinzip der Konzerne: den Gewinn privatisieren – und die Kosten der Infrastruktur und der Verluste der Gemeinschaft aufbürden.

AFRIKA, ASIEN
Über Jahrhunderte haben Europa und die USA fremde Kontinente missioniert, kolonialisiert und schamlos ausgebeutet. Ganze Völker wurden zunächst ihren Wurzeln entfremdet und wirtschaftlich abhängig gemacht, ihre Rohstoffe und Kunstschätze wurden gestohlen oder zerstört und ausgeplündert, die Menschen versklavt. Auf diese Weise leisteten diese Völker - höchst unfreiwillig - „Entwicklungshilfe“ für Europa und die USA und ermöglichten diesen – besonders den großen Konzernen - einen unglaublichen wirtschaftlichen Aufschwung, der jedoch mit einer Trennung von moralischer Verantwortung für die Menschheit und den Planet Erde einherging.

1.4 GLOBALISIERUNG

Und setzt nicht die „Globalisierung“ die Kolonial-Politik mit anderen Mitteln fort? Den regionalen Wirtschafts-Strukturen – einschließlich der Landwirtschaft – wurde der Boden entzogen durch einen „freien Markt“, durch Freihandelszonen. Bildlich gesprochen wurden die regionalen Forellenteiche für die globalen Hechte geöffnet. Profitiert haben die Konzerne. Auf der Strecke blieben die Menschen, die von einer regionalen Wirtschaft gelebt hatten, sowohl in Europa als auch in Übersee.
Und wie vollmundig waren die Versprechungen, mit denen die Globalisierung propagiert wurde. Und wie demütigend und verbrecherisch die Folgen. Ein Beispiel: Durch ein „Freihandelsabkommen“ wurde Kolumbien verpflichtet, die Produkte der US-Firma Monsanto zu kaufen: Saatmittel, die durch Genmanipulation unempfindlich gemacht worden waren gegen Insektizide – die ebenfalls von Monsanto vertrieben wurden. Im Unterschied zum traditionellen Saatgut der columbianischen Campesinos ließ sich aber aus dem Hybrid-Züchtungen Monsantos kein Saatgut gewinnen. Die Bauern waren angewiesen, neues Saatgut von Monsanto zu kaufen. Sie drohten von Monsanto abhängig zu werden – wie zuvor schon viele indische Bauern, die in den Ruin und in den Suizid getrieben worden waren. Als sie ihr eigenes Saatgut verwendeten, schickte die Regierung Soldaten mit Panzern auf die Felder, um diese zu zerstören.
Das gleiche Prinzip setzte sich in den Ölkriegen der USA und Großbritanniens fort.
Zu diesem Zweck wurden demokratische Regierungen – Mossadeq in Persien – destabilisiert und gestürzt, weil sie sich dem Öl-Deal widersetzten. Und andere autoritäre Regierungen – auch fundamentalistische wie die Saudis – wurden finanziell und mit Waffen unterstützt, weil sie zum Deal bereit waren. Es ist bekannt, dass Saudi-Arabien vom mahabitischen Fundamentalismus geprägt ist, und dass es auch den „Islamischen Staat“ mit Waffen unterstützt. Wer Saudi-Arabien Waffen verkauft, profitiert also noch am Terror des IS. (Wer den Wind sät …)

FLÜCHTLINGS-STRÖME

Den Völkern Afrikas und Asiens wurde über Jahrhunderte durch Kriege und Ausbeutung die Lebensgrundlage genommen. Verschärfend kommen noch der von Menschen gemachte Klimawandel mit seinen Dürreperioden und Hungersnöten und die zunehmende Gewalt radikalisierter Fundamentalisten dazu. Es ist nicht verwunderlich, dass sie im „reichen“ Europa Rettung erhoffen.

KREBSGESCHWULST
Es wird immer deutlicher, die grossen Finanz- und Wirtschaftskonzerne sind ausschliesslich am eigenen Wachstum orientiert. Die Auswirkungen auf Menschen, Natur, Klima interessieren sie nicht. Und es gibt keine Instanz, die sie bremsen könnte. Die Politiker aber auch die Öffentlichkeit lassen sich für die Interessen der Mächtigen einspannen. Das entspricht der Situation eines Krebsgeschwulstes: Sobald die Immunabwehr des Körpers die Krebszellen nicht mehr in Schach hält, beginnen sie ungebremst zu wachsen, ohne „Respekt“ für die Organe. So stirbt der Gesamtorganismus – und damit auch der Krebs. Aber dem ist das egal!
Übertragen auf die globale Krise bedeutet das: ist es möglich, eine kollektive Immunabwehr gegen das zerstörerische Wachstum zu initiieren, um wieder eine Selbst-Regulation zu erreichen?



Kapitel 2 Globale Krise – warum versagt die Selbst-Regulation?

„Wir müssen die Demokratie marktkonform machen!“
Angela Merkel,
Bundekanzlerin

2.1 Europa und die globale Krise

Auch die Bevölkerung Europas erlebt eine schleichende Verarmung. Die deutsche Regierung behauptet zwar, dass es Deutschland gut geht, weil es der Wirtschaft gut gehe. Aber die ungerechte Vermögensverteilung nimmt immer mehr zu, auch in Deutschland. Die südlichen Länder, Griechenland, die iberische Halbinsel, aber auch Italien und Frankreich trifft es zuerst. Wir müssen dafür zahlen, dass diese Länder angeblich „gerettet werden“. Den Profit haben die Finanzkonzerne, die an den erhöhten Darlehenskosten dieser Länder unmittelbar Gewinn machen. Die angeblichen „Geldgeber“ sind in Wirklichkeit gewissenlose „Geldnehmer“. Die Reichen dieser südlichen Länder entziehen sich. Der Bevölkerung werden die Renten beschnitten, die Gesundheitsfürsorge genommen. Das „Tafelsilber“ des griechischen Volkes, die Häfen etc., werden verkauft, an China.
Die deutsche Bevölkerung erlebt die wirtschaftliche Auszehrung und die Hilflosigkeit und Verlogenheit ihrer Politiker*innen. Wenn diese Politiker*innen die Hartz IV-Gesetze verteidigen und gleichzeitig den Flüchtlingsströmen die Türe öffnen, dann erzeugt das bei immer mehr der Betroffenen eine hilflose Wut und Verzweiflung.
Jedoch statt ihrer eigenen kritischen Wahrnehmung zu folgen, und sich gegen die Verursacher zu wehren, lassen sie sich von rechtspopulistischen Rattenfängern verführen. Statt die Empörung gegen die eigentlich Verantwortlichen zu richten, gegen die Großkonzerne und gegen die Parteien, die deren Interessen vertreten, lassen sie ihre Empörung auf die Flüchtlinge und den Islam lenken. Sie dienen als Sündenböcke. Das wiederum verstärkt den islamistischen Terror, ein schrecklicher Teufelskreis.
Dabei sind beide Seiten, sowohl die Flüchtlinge, als auch die verarmende Bevölkerung Opfer eines gleichen „Täters“: der Wirtschafts- und Finanz-Konzerne. Wären sie sich dieser Tatsache bewusst, könnten sie gemeinsam kämpfen gegen die eigentlichen Verursacher der Krise.
Für diese ist es daher sehr vorteilhaft, dass sich die beiden Gruppen gegenseitig bekämpfen – statt sich zu verbünden. Entspricht das nicht der bewährten Taktik der Mächtigen: „divide – et impera!“: teile deine Gegner – und herrsche über beide!

2.2 Die Politik ist hilflos - da von Lobbyisten beeinflusst

Die Akteure Vertreter der Wissenschaft, die der Politik, der Wirtschaft, aber weitgehend auch der Wissenschaft scheinen bis auf wenige Ausnahmen unfähig, diesen sich beschleunigenden Prozess der Selbstzerstörung zu verstehen, geschweige denn, ihn aufzuhalten. Im Gegenteil, sie scheinen Teil des destruktiven Systems zu sein. Dadurch können die Politiker ihrer Aufgabe, die Interessen der Bevölkerung zu vertreten, auch gegenüber den Wirtschafts- und Finanz-Konzernen, nicht mehr nachkommen. Damit verliert unsere Gesellschaft die nötige Selbst-Regulation.
Die Kanzlerin Frau Merkel selbst war es, die offen von dem Ziel sprach, die Demokratie „marktkonform“ zu machen. So als wäre sie dem Wohl der Wirtschaft verpflichtet. Dabei lautet ihr Amtseid: „Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. (So wahr mir Gott helfe.)“
Diesen Eid hat sie (ohne behaupten zu wollen, die anderen hätten es besser gemacht) mehrfach gebrochen, wie diese Beispiele zeigen:
Frau Merkel holte in der Finanzkrise ausgerechnet Herrn Ackermann als Berater, von dem wir heute wissen, dass gerade er entscheidend an dem Umbau der deutschen Bank zu einer globalen Investmentbank beteiligt war. Diese hat zunächst Riesengewinne durch Spekulationen und den Vertrieb „toxischer“ Papiere gemacht. Dadurch haben viele Kunden große Verluste erlitten. Die Bankiers spendierten sich selber großzügige Boni. Und als die große Krise kam, durften die Steuerzahler wieder bezahlen.
Merkel hat sich in Luxemburg gegen die Verschärfung der Abgasregeln für PKW eingesetzt – trotz ihrer Lippenbekenntnisse für den Umweltschutz. In den Zeitungen erschien eine kurze Notiz, dass die CDU einige Wochen später Spendengelder von den PKW - Unternehmen erhalten hat.
All das steht in der Zeitung – allerdings nicht als Schlagzeile auf der ersten Seite. Warum wohl nicht?
Weil die deutsche Wirtschaft floriert. Deutschland ist „Exportweltmeister“. Der Preis: die Vermögensverteilung wird immer ungerechter, Familien die „Hartz IV“ beziehen sind mit ihren Kindern abgehängt, für immer. Und auch der Mittelstand spürt, wie ihm der Boden unter den Füssen verloren geht. Das Ersparte schmilzt dahin, es droht Altersarmut.
Glücklicherweise gibt es immer mehr, die öffentlich gegen diese Entwicklung protestieren und die nach alternativen Strategien suchen.
Für sie schreibe ich des Buch!
Die Mehrheit schweigt. Resignation und Lethargie verbeitet sich. Warum?

2.3 Gibt es eine gemeinsame Ursache der globalen Lethargie und Selbst-Zerstörung?

Umweltverschmutzung, Klimawandel, Hungersnöte, Flüchtlings-Ströme, Kriege und Terrorismus, die globalen Selbst-Zerstörung hat viele unterschiedliche Aspekte. Immer mehr Menschen fragen sich verzweifelt: was sind die Ursachen? Und vor allem: Kann man die Entwicklung noch aufhalten?
Wichtig ist zu erkennen: Diese Katastrophen sind nicht Schicksal, sie sind von Menschen gemacht. Und mir scheint, sie haben – bei allen Unterschieden - eine gemeinsame Ursache.
Es gibt einige wenige Gruppen, die von diesen Katastrophen profitieren – oder zumindest glauben, davon zu profitieren: die Wirtschafts- und die Finanzkonzerne. Sie haben Geld. Sie haben die Macht. Ihr einziges Interesse besteht darin, diese Macht zu sichern und zu vergrößern, koste es was es wolle. Sie schaffen Instrumente, um ihre Machtinteressen zu verfolgen: Lobby-Arbeit, Thinktanks. Sie beeinflussen über Medien und über Lobbyisten die Parteien, die Regierungen, die Wähler. Dabei verstehen sie es geschickt, ihre wirklichen Interessen zu verschleiern,
• indem sie behaupten, die Probleme seien so kompliziert, dass nur Experten sie verstehen können,
• indem sie moralisch einwandfreie Ziele vorgeben: Unrechtsregime beseitigen, die demokratischen Kräfte zu fördern, den Hunger zu bekämpfen etc.

Durch diese Strategien gelingt es ihnen, Menschen als Mitarbeiter*innen zu gewinnen, Familienväter, die ihre Intelligenz und ihre Fantasie dafür einsetzen, damit diese Organisationen erfolgreich sind, Familienmütter, die glauben, ihren Kindern solcherart eine bessere Zukunft zu ermöglichen.
Wenn die Mitarbeiter*innen dann die eigentlichen Interessen dieser Institutionen erkennen, wenn sie sich der Konsequenzen ihres Handelns bewusst werden, – für die Erde, ihre Bewohner*innen und für sich selber – dann geraten sie in eine innere Zerrissenheit. Manche neigen dazu, das zu ignorieren. Oder sie stellen ihre eigene Autorität, ihre eigene Wahrnehmung, ihre eigenen Wertmaßstäbe in Frage, und orientieren sich in ihrem Verhalten nach der äußeren Autorität, nach dem, was von ihnen erwartet und verlangt wird. Sie lassen sich in den Dienst nehmen, lassen sich instrumentalisieren. Fremdbestimmung statt Selbstregulation.

2.4 Der Gehorsam

Wenn sie sich in dieser Weise nach den Vorgaben und Erwartungen der Autoritäten orientieren, dann reagieren sie gehorsam. Dann benutzen sie nicht ihre innere Autorität, ihr eigenes „Organ ihrer Selbstregulation“, ihr Gewissen, oder ihr Selbst. Wenn diese innere Instanz sich dennoch meldet, dann fühlen sie sich vielleicht unwohl dabei, fühlen sich innerlich zerrissen. Aber nur wenige „steigen aus“. Wenn diese Wenigen dann die schädlichen Wirkungen dieser Organisationen der Öffentlichkeit bekannt geben, dann werden sie zu „Whistleblowern“. Statt einer öffentlichen Anerkennung werden sie dafür von ihren Arbeitgebern verfolgt, vor Gericht gebracht. Die Öffentlichkeit schweigt. Einige wenige feiern sie als Helden. Aber letztlich lassen alle sie alleine.
Es scheint, dass auch wir als Öffentlichkeit uns mehr nach den Autoritäten „da oben“ orientieren, dass wir uns ihnen gegenüber ohnmächtig fühlen, und sie gewähren lassen. Getreu dem verbreiteten Motto „Ober sticht Unter“?

Zum Thema Gehorsam gibt es ein bekanntes psychologisches Experiment…*


Kapitel 3 Agenten- oder Autonomie-Modus?

Ich habe dieses Experiment durchgeführt, um herauszufinden, wie viel Schmerz ein gewöhnlicher Mitbürger einem anderen zufügen würde, einfach weil ihn ein Wissenschaftler dazu aufforderte. Starre Autorität stand gegen die stärksten moralischen Grundsätze der Teilnehmer, andere Menschen nicht zu verletzen, und obwohl den Testpersonen die Schmerzensschreie der Opfer in den Ohren klangen, gewann in der Mehrzahl der Fälle die Autorität.
Stanley Milgram,
Zur Gehorsamsbereitschaft gegenüber Autorität, 1974



3.1 Milgram: zur Gehorsamsbereitschaft gegenüber Autorität

Unter diesem Titel hat der amerikanische Psychologe Stanley Milgram (15.8.1933 – 20.12.1984) ein umfangreiches Experiment durchgeführt, das ich hier etwas ausführlicher darstelle, da es Wesentliches zu unserem Thema beiträgt.

Milgram war ein sehr mutiger Mann. Obwohl seine Experimente nicht zu den von ihm selber und den Expert*innen erwarteten Ergebnissen führten, hat er sie – anders als die meisten von Auftraggebern abhängigen Forscher*innen z.B. der Pharmaindustrie! – weiter geführt. Da war er selber nicht „gehorsam“ sondern sehr autonom! Er hat zehn Jahre gebraucht, um seine Ergebnisse zu formulieren. Angefeindet von seinen Kolleg*innen, starb er bereits mit 51 Jahren an einem Herzinfarkt. Ich fühle mich diesem Mann sehr verbunden. Er ist acht Jahre vor mir geboren und wäre heute (2018) 85!

1961 hat Milgram mit seinen Experimenten zum Autoritäts-Gehorsam begonnen. Unter dem Eindruck der Prozesse gegen Nazi-Täter, speziell gegen Eichmann, wollte er die Frage klären, warum scheinbar normale Menschen unter den Bedingungen einer autoritären Organisation im Rahmen des Holocaust in der Lage waren, anderen, unschuldigen Menschen Schaden zuzufügen. Er vermutete zunächst – wie viele andere auch – dass dieser Autoritätsgehorsam ein eher deutsches Problem sei. Daher plante er, sein Experiment zunächst in USA durchzuführen, und dann – zum Vergleich – in Deutschland.

3.2 Das Experiment

Den Versuchspersonen wurde erklärt, dass sie an einem wissenschaftlichen Experiment teilnehmen. Es solle untersucht werden, ob sich der Lernerfolg steigern lasse, wenn die Testpersonen („Schüler“) bei falschen Antworten durch Stromstöße „bestraft“ werden, welche die „Lehrer“ durch einen Tastendruck auslösen. Den Versuchspersonen wurde vermittelt, dass durch ein Los bestimmt wird, wer von ihnen als „Lehrer“ oder als „Schüler“ eingesetzt wird. In Wirklichkeit wurden alle Versuchspersonen als „Lehrer“ eingesetzt, Die „Schüler“ waren Schauspieler, die Stromstöße waren fiktiv und die Schmerzreaktionen der „Schüler“ klangen zwar sehr realistisch, waren aber ebenfalls gespielt und auf Tonband gespeichert. Getestet werden sollten folglich nicht die „Schüler“ sondern die Versuchspersonen selber, und zwar ob und wieweit sie als „Lehrer“ bereit waren, die Stromstöße zu steigern, trotz der – fiktiven - Schmerzreaktionen der „Schüler“.
Der „Lehrer“ konnte den „Schüler“ im Nachbarraum nicht sehen, aber hören. Ein Versuchsleiter („Experimentator“, ebenfalls ein Schauspieler) befand sich zunächst in der Nähe des „Lehrers“ und gab ihm immer wieder die Anweisungen, dass das Experiment erfordere, dass er den nächst höheren Stromstoß verabfolgt, bis zur höchsten Stufe. Die Verantwortung trage er, der Versuchsleiter.
Diese Versuchsanordnung wurde in verschiedenen Variationen durchgeführt.

3.3 Ergebnisse

Zu dem Experiment in Deutschland kam es nicht, denn schon das Experiment in den USA ergab den schockierenden Befund, dass ca. 65% der Proband*innen bereit waren, „Schülern“ Stromstöße zu verabreichen, die möglicherweise gesundheitsgefährlich waren.
Milgram beschreibt in vielen Beispielen die sehr unterschiedlichen Reaktionen der Proband*innen.
1. Manche führten die Bestrafung der „Schüler“ durch Elektroschock ohne sichtbare Gemütsbewegung durch.
2. Viele reagierten sehr emotional, sie bekamen Schweißausbrüche, oder sie lachten unmotiviert.
3. Einige formulierten sehr präzise, dass sie persönlich diese Experimente ablehnen und so etwas von sich aus nie machen würden. Aber sie folgten dennoch den Anweisungen des „Versuchsleiters“ – so als hätten sie keine wirkliche Wahl!
4. Manche ärgerten sich über den ungehorsamen „Schüler“, so als habe er die Bestrafung durch einen stärkeren Stromstoß verdient, da er eine falsche Antwort gegeben hatte.

Milgram betont, dass vom „Versuchsleiter“ keinerlei Druck ausgeübt wurde:
„Unsere Untersuchungen befassen sich ausschließlich mit der Form des Gehorchens, die ein Mensch von sich aus entgegen bringt ohne die geringste Anwendung von Druck und Drohung. Bei unserem Experiment handelt es sich allein um solchen Gehorsam, den eine Autorität durch die schlichte Behauptung auslöst, sie besitze das Recht, über einen Beteiligten die Kontrolle auszuüben. Der ganze Zwang, den die Autorität – wenn überhaupt – in unseren Versuchen ausübt, ergibt sich aus Machtfaktoren, mit welchen die Versuchsperson gewissermaßen die Autorität ausstattet, und nicht aus irgendwelchen objektiv vorhandenen Drohungen oder der etwaigen Verfügung über greifbare Machtmittel zur Disziplinierung der Versuchsperson.“ (S.11 Hervorhebung durch den Autor LZ)
Nach Milgrams Beobachtung ist es also der Proband selber, welcher die Autorität „mit Machtfaktoren ausstattet!“
Übrigens: Unter den wenigen Proband*innen, die den Gehorsam verweigerten, war – ausgerechnet! – eine Deutsche, Gretchen Brandt, medizinische Assistentin. Sie war in Nazi-Deutschland groß geworden und erst vor wenigen Jahren eingewandert.
Als Milgram sie befragte, warum sie abgebrochen hatte, meinte sie: „Vielleicht haben wir zu viel Qual gesehen.“(S. 104)

Milgram war von diesen Ergebnissen schockiert, das hatte er nicht erwartet. Deshalb wiederholte er das Experiment und veränderte durch sorgsam ausgedachte Versuchsanordnungen die Parameter. Doch das Ergebnis blieb dasselbe.
Wiederholungen des Experimentes in anderen Ländern durch andere Forscher ergaben im Wesentlichen den gleichen Befund.


3.4 Milgrams Interpretation der Ergebnisse


Milgram vermutete ursprünglich, dass Autoritätsgehorsam und dessen Verweigerung durch Persönlichkeitsmerkmale oder durch die Lebensumstände der Proband*innen bedingt wären, aber er konnte dies nicht belegen.
Stattdessen ging er von zwei unterschiedlichen „Funktionszuständen“ aus, die er so umschrieb:
• ein Zustand der „Autonomie“, in dem das Individuum sich als für seine Handlungen verantwortlich erlebt, und
• ein „Agenten-Zustand“, in dem es nicht mehr aufgrund eigener Zielsetzungen handelt, sondern zum Instrument (zum „Agenten“, zur Agentin) der Interessen anderer wird.
Ausgehend vom Freudschen Instanzenmodell vermutete er, dass im Autonomie-Zustand die Betroffenen mit ihrem „Über-Ich“ (Gewissen) verbunden sind und dass im Agenten-Zustand an die Stelle des „Über-Ich“ die Autoritätsperson tritt. Der Wechsel vom „Autonomie“- in den „Agenten“ - Zustand erfolge beim Eintritt in ein Autoritäts-System.
Aus Sicht der heutigen Traumatherapie (siehe Kapitel 5) lässt sich das Ergebnis der Experimente so verstehen, dass durch eine Autoritätsperson - den Versuchsleiter – bei den „gehorsamen“ Probanden ein früheres Autoritätstrauma „getriggert“ wurde, sodass sie die Überlebensstrategien von damals übernahmen.

Milgrams Schlussfolgerung:

„Ich habe dieses Experiment durchgeführt, um herauszufinden, wie viel Schmerz ein gewöhnlicher Mitbürger einem anderen zufügen würde, einfach weil ihn ein Wissenschaftler dazu aufforderte. Starre Autorität stand gegen die stärksten moralischen Grundsätze der Teilnehmer, andere Menschen nicht zu verletzen, und obwohl den Testpersonen die Schmerzensschreie der Opfer in den Ohren klangen, gewann in der Mehrzahl der Fälle die Autorität. Die extreme Bereitschaft von erwachsenen Menschen, einer Autorität fast beliebig weit zu folgen, ist das Hauptergebnis der Studie, und eine Tatsache, die dringendster Erklärung bedarf.“

3.5 Reaktion der Fachkollegen

Auch die Fachkolleg*innen waren von dem Ergebnis der Experimente entsetzt. Das Ergebnis passte nicht zu ihren Vorstellungen. Daher warfen einige von ihnen Milgram vor, sein Experiment habe die Proband*innen traumatisiert, es sei unethisch und unwissenschaftlich. Noch heute ist Milgrams Experiment unter Fachkollegen umstritten.
Aber seiner Aufforderung nach einer Erklärung des Autoritätsgehorsams konnten sie bisher nicht folgen! Diese Ausführungen sind als Beitrag zu dieser Aufgabe gedacht.

Dazu die Stellungnahme des bekannten Hypnotherapeuten Milton Erikson:
„Daß die Pionierarbeit (Milgrams) auf diesem Gebiet als unmoralisch, nicht zu rechtfertigen, informatorisch wertlos und mit anderen abfälligen Äußerungen angegriffen wurde, war zu erwarten, einfach deshalb, weil die Menschen vor unerwünschtem Verhalten gern die Augen schließen und es vorziehen, das Gedächtnis zu erforschen, indem sie sinnlose Wörter lernen lassen...
Milgram liefert einen gewichtigen und gehaltvollen Beitrag zu unserem Wissen vom menschlichen Verhalten...
Sich mit Untersuchungen zu befassen wie die, die Milgram unternahm, das erfordert starke Männer mit starker wissenschaftlicher Überzeugung und einer Bereitschaft, zu entdecken, dass die Verantwortung für und die Kontrolle über inhumane Handlungen beim Menschen selbst liegt, und nicht beim ́Teufel.“


3.6 DIE URSACHE DES AUTORITÄTSGEHORSAM?

Angeboren....
Milgram selber äußert sich nicht eindeutig zu dieser Frage.
Einerseits scheint er zu der ersten Deutung zu neigen, wenn er schreibt:
„Dies ist ein fataler Defekt, den die Natur uns Menschen eingebaut hat, und auf lange Sicht lässt er unserer Art nur eine bescheidene Überlebenschance.“ (Milgram S. 216)

… oder erworben?
Andrerseits schreibt Milgram (S. 234):
Die Ergebnisse, wenn sie auch im allgemeinen blass sind, wiesen in folgende Richtungen. Republikaner und Demokraten waren im Gehorsamsniveau nicht signifikant verschieden. Katholiken waren gehorsamer als Juden und Protestanten.....

„Je länger jemand beim Militär gedient hatte, desto höher war seine Gehorsamsbereitschaft, mit der Ausnahme, dass ehemalige Offiziere – ungeachtet der Länge ihrer Dienstzeit – weniger gehorsam waren als einfache Mannschaftsgrade.....“
Diese Spuren, die auf den Einfluss der Erziehung hinweisen, hat Milgram selber nicht weiter verfolgt! Weiter:
„Ich bin sicher, dass es eine komplexe Persönlichkeitsbasis für Gehorsam und Gehorsamsverweigerung gibt. Aber ich weiss, dass wir sie noch nicht gefunden haben.“(S. 234)
Und an anderer Stelle:
„Obwohl viele Versuchspersonen die intellektuelle Entscheidung treffen, dem Schüler nicht weiter Schocks zu verabreichen, sind sie doch oft nicht in der Lage, diese Überzeugung in Aktion zu übersetzen. Wenn man sie im Labor beobachtet, kann man ihren heftigen inneren Kampf, sich der Autorität zu entziehen, nachempfinden, während sie durch zwar mangelhaft definierte, aber starke Bande am Schockgenerator festgehalten werden.“ (S. 173)

3.7 AUTORITÄTSGEHORSAM ALS TRAUMAFOLGE?
Milgram beschreibt hier ein Phänomen der inneren Zerrissenheit zwischen einer kognitiven Einsicht und einem starken blockierenden Gefühl, welches die Umsetzung dieser Einsicht verhindert. Dies Phänomen ist typisch für „Dissoziation“, als Folge einer traumatischen Einwirkung. Der innere Konflikt zwischen dem eigenen Verhalten und einer dazu konträren eigenen Überzeugung kann verstanden werden als Folge einer Konditionierung durch Trauma.
Dissoziation kann als fehlende Verbindung mit dem Wesenskern, dem SELBST beschrieben werden. Wir beobachten Dissoziation als unmittelbare Reaktion bei Trauma, aber auch dann, wenn ein altes gespeichertes Trauma durch einen Auslöser getriggert wird, der an die Situation vor dem gespeicherten Trauma erinnert. (Siehe auch Kap.6.8)

WICHTIG: Was Milgram noch nicht wissen konnte: Aus heutiger, traumatherapeutisch geschulter Sicht weisen alle die von ihm beschriebenen Reaktionen (soehe Kap.3.3) der „gehorsamen“ Probanden Zeichen unterschiedlicher Formen einer DISSOZIATION auf.
1. Manche hatten ihre Gefühle ganz abgespalten.
2. Die unangemessenen emotionalen und vegetativen Reaktionen können als Gefühle aus einer früheren Traumatisierung durch eine Autoritätsperson verstanden werden, die zusammen mit dem Trauma gespeichert und durch erneute Begegnung mit der Autoritätsperson des Versuchsleiters „getriggert“ wurden.
3. Andere waren sich ihrer Überzeugung durchaus bewuss, es war ihnen auch bewusst, dass ihr (den Erwartungen des Versuchsleiters angepasstes) Verhalten nicht mit ihrer Überzeugung übereinstimmte. Aber ihre Dissoziation hinderte sie daran, sich nach ihrer Überzeugung zu orientieren.
4. Eine komplexe Reaktion zeigten die Probanden, die sich über den ungehorsamen „Schüler“ ärgerten, so als habe er die Bestrafung durch einen stärkeren Stromstoß verdient, da er eine falsche Antwort gegeben hatte. Anscheinend hatten sie kein Mitgefühl für das Leid der Probanden und konnten ihre eigene Beteiligung bei der „Strafe“ nicht wahrnehmen - so als hätten sie nicht die Möglichkeit einer eigenen Entscheidung. Den Ärger, den sie darüber spürten richteten sie jedoch nicht gegen den Versuchsleiter („Täter“) – der sie zu diesem Verhalten aufgefordert hatte, sondern gegen das „Opfer“. Das könnte der bekannten Dynamik einer „Identifikation mit dem Täter“ entsprechen.


Das erlaubt die Hypothese, dass auch der Autoritätsgehorsam – wie die Dissoziation – als Traumafolge, noch präziser: als Folge eines Traumas durch eine Autorität verstanden werden kann!

Diese Frage werde ich später erörtern.
Zuvor wende ich mich der Frage zu: gab es in der Entwicklung der Menschheit eine Zeit, in der dieser Autoritätsgehorsam noch nicht vorhanden war? Oder mit anderen Worten: Gab es eine Zeit, in der Selbstregulation beim Menschen noch wirksam war?
Das wäre ein starkes Argument gegen die verbreitete These, Autoritätsgehorsam sei angeboren – und daher unvermeidlich!



Kapitel 4 „URGESELLSCHAFT“


„Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet,
der letzte Fisch gefangen ist, werdet Ihr merken,
dass man Geld nicht essen kann.“
Alanis Obomsawin 1972
aus dem Volk der Abenaki



4. 1. DIE ERSTEN MENSCHEN UND SELBSTREGULATION


Die ersten „prähistorischen“ Menschengruppen waren Nomad*innen. Die Indianervölker Nordamerikas aus historischer Zeit können als Modell dieser Form menschlichen Lebens dienen. Ihr Zusammenleben wurde durch eine „Rangordnung unter Gleichen“ bestimmt, die der gegebenen Stellung jeder Person entsprach, abhängig von Alter, Erfahrung und „sozialer Kompetenz“. Dabei waren Frauen und Männer ebenbürtig, bisweilen wurden Frauen sogar besonders geehrt, weil sie neues Menschenleben hervorbrachten. Durch die gegenseitige Achtung begegneten sich die Menschen auf Augehöhe. Ihre Beziehungen waren geprägt von einem gegenseitigen Austausch im Geben und Nehmen. Solche Menschengruppen verehrten die Natur und „Mutter Erde“ als das größere Ganze, das sie hervorgebracht hat und das sie trägt, als deren Teil sie sich erlebten. Diese Achtung hatte die Qualität einer selbstverständlichen Religiosität, sie war die Grundlage aller Natur-religionen.
Diese Menschen lebten im Einklang mit der Natur, nutzten deren Ressourcen und achteten auf Nachhaltigkeit. Sie achteten auch die Tiere, die sie töteten, um sich zu ernähren, als Geschöpfe dieser größeren Macht. Und sie töteten nur so viele wie nötig, und sie nutzten alle Teile des erlegten Tieres.
Auch in diesen ursprünglichen, von der Zivilisation noch nicht veränderten Kulturen gab es Stammesrivalitäten und blutige Rituale. Bei den Papuas auf Neuguinea gehörte es zum Ritual, bei einer Verletzung durch einen anderen Stamm stellvertretend einen Angehörigen – aber nicht mehr! - dieses Stammes zu töten, ihn sich einzuverleiben (Kannibalismus), und seine Schädel als Trinkgefäss für besondere Rituale zu verwenden. Für uns „Zivilisierte“ erscheint das grausam und inhuman. Inzwischen hat die Zivilisation diese Völker erfasst, die Mission hat zwar die kannibalistischen Rituale beendet. Aber sie hat die Paüuas auch ihren Traditionen entfremdet, so gründlich, dass sie ihre Würde und ihre Lebensformen verloren haben, und den Drogen und der Prostitution verfallen sind – sowie schon zuvor die Indianer Nordamerikas.
Kann das als Sieg der Zivilisation gefeiert werden? Sind die Massaker der Vernichtungskriege, die im Namen einer Zivilisation von zivilisierten Menschen begangen wurden wirklich humaner als die Riten der Papuas, die dem Gegner immerhin insoweit Achtung erwiesen, dass sie ihn sich einverleibten und seine Schädel als Trinkgefäss verwendeten?

Bei den ursprünglichen – vor-zivilisatorischen – Völkern ihnen wirkte noch eine Selbstregulation. Was befähigte sie zu dieser Selbstregulation?

4.2 SELBST und Selbstregulation

Diese Menschen erlebten die Natur unmittelbar, sie waren einerseits ihrer lebensbedrohlichen Wucht ausgeliefert und fühlten sich andrerseits beschenkt durch ihre Gaben und ihre Schönheit. Die Verehrung der Natur war verbunden mit dem Bewusstsein, ein Geschöpf dieser Erde zu sein, die sie hervor gebracht hat und die sie nährt. Sie verspürten in sich selbst eine eigene unmittelbare Verbindung mit dem größeren Ganzen, als dessen Teil sie sich verstanden – unmittelbar, ohne Vermittlung eines Priesters oder einer Priesterin.
Diesen Wesenskern, der ihnen ihre Würde, ihren Wert gab, nennen wir sein SELBST. Er kann als das „Organ“ einer Selbstregulation beim Menschen bezeichnet werden. Dies Selbst einer Person ist unzerstörbar und unverlierbar. Es ist der Teil einer Person, der sich bewusst ist, seinen Wert, seine Würde in sich zu haben, unabhängig davon, ob jemand etwas leistet oder ob er gebraucht wird. Daher zielte die Erziehung des Einzelnen nicht primär auf Gehorsam, sondern auf die Entwicklung eines derartigen SELBST-Bewusstseins.

4.3 „Vision-Quest“ als Ritual der Selbstfindung

In den archaischen Nomadengruppen der Indianer gab es das Phänomen der „Vision-Quest“ als Übergangsritual vom Jugendlichen zum Erwachsenen: die Ältesten des Stammes bereiteten die Jugendlichen dafür vor, sich einige Tage ohne Nahrung alleine in der – damals noch gefährlichen – Wildnis aufzuhalten. Danach berichteten die Jugendlichen von ihren inneren (Träumen und Visionen) - und äußeren Erfahrungen, die sie dort hatten. Die Ältesten mit ihrem Wissen konnten aus diesen Berichten das “Eigene“ der Probanden erkennen, sein Wesen, sein „Selbst“. Sie gaben den Jugendlichen einen Namen, der dieses Innerste ausdrückte. Der derart initiierte Jugendliche trug diesen Namen. Sobald er sich durch eine besondere Tat bewährte, bekam er einen neuen Namen, der den neu aufgetretenen Aspekt seines Wesens zum Ausdruck brachte. Dadurch erlebte jeder Initiant, dass die Respektspersonen seiner Gruppe sein Eigenstes, sein SELBST so sehr wertschätzten und achteten, dass sie ihm danach seinen Namen gaben. Da der Name das eigene Identitätsgefühl prägt, lernten sie dadurch, sich mit ihrem SELBST zu identifizieren.
Heutzutage wird der Name eines Kindes von den Eltern bestimmt. Er drückt oft die Erwartungen der Eltern an ein Kind aus um die Entwicklung des Kindes in eine gewünschte Richtung zu beeinflussen. Diese Erwartungen können die spätere Selbst-Bestimmung des Kindes empfindlich einegen.
Was bedeutet das für unsere Überlegungen?
Die Indianer lebten in der Wildnis. Das Überleben jedes Einzelnen, aber auch der Gruppe, war existenziell gefährdet. Es lag daher im Interesse des Clans, die Überlebensfähigkeit jedes Mitglieds durch solche Rituale zu stärken, die geeignet sind, die Wertschätzung für sein Selbst, also die Verbindung mit seinem eigenen Potential zu verbessern.
Offensichtlich sollten diese Jugendlichen nicht zum Gehorsam erzogen werden, sondern dazu, sich nach ihrem Eigenen, nach ihrem Selbst zu orientieren. So waren sie dafür gerüstet, auch wenn sie alleine waren, auf sich selber angewiesen, unerwartete Herausforderungen zu bewältigen. So wurde Selbstregulation und Selbstbestimmung gestärkt. Und das verbesserte auch die Überlebenschancen des Clans.

Das selbe Anliegen wird deutlich in einer berührenden indianischen Parabel, [Zitiert unter https://hekaya.de/maerchen/der-kleine-ma...amerika_11.html] welche am Beispiel des „kleinen Mäuserich“ eine spirituelle Entwicklung schildert, durch Mitgefühl und die Bereitschaft, zu Teilung, ja zum Verzicht. Jeder Schritt dieser Transformation findet seinen Ausdruck in einem neuen Namen: so ändert sich der Name des Mäuserich über „springende Maus“ bis hin zu „Adler“.

4.4 Aspekte der „Urgesellschaft“

Zusammengefasst waren diese „Urgesellschaften“ bestimmt von folgenden Aspekten:
1. Die Erfahrung einer unmitelbaren Verbindung mit der Transzendenz führte zu einer Erziehung zu Selbst-Achtung (Autonomie) und Achtung für die Erde und ihre Bewohner, einschliesslich der Menschen.
2. Daher gab es eine Gesellschaftsstruktur von „Gleichen unter Gleichen“,
3. Daher waren die Beziehungen bestimmt durch einen Ausgleich von Geben und Nehmen - statt Benutzen und Benutzt werden,
4. Die Folge war die Erhaltung der Ressourcen für die nächste Generation, also das was wir heute “Generationenvertrag“ nennen.
5. Diese Form menschlicher Gesellschaft ermöglichte Selbst-Regulation innerhalb der Gemeinschaft, aber auch in der Beziehung zur Umwelt zur Natur.
Diese Form menschlicher Gesellschaft kann daher als „artgerecht“ bezeichnet werden.

Für unsere Überlegungen ist der Befund dass es menschliche Gesellschaften gab ohne Autoritäts-Gehorsam ein erstes Argument dafür, dass dieser Autoritätsgehorsam nicht angeboren sondern anerzogen ist.


Quelle:
www.systemische-selbstintegration.de