Aufstieg der Menschheit

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In seinem Buch "Die Renaissance der Menschheit" untersucht Charles Eisenstein sowohl Geschichte und mögliche Zukunft der menschlichen Zivilisation aus einer ungewöhnlichen Perspektive : Der des menschlichen Selbstbilds. Charles analysiert die unterschiedlichen Krisen unserer Zeit und kommt zu dem Fazit, dass sie alle auf ein tiefsitzendes Gefühl der Getrenntheit zurückzuführen sind. Um die Krisen zu überwinden, bedarf es nichts geringerem als einer Revolution des menschlichen Seins, um dadurch die Beziehung unter den Menschen als auch die zwischen Mensch und Natur zu transformieren. In seinem Buch behandelt er die Themenbereiche : Wissenschaft, Religion, Spiritualität, Technologie, Ökonomie, Medizin und Bildung. Er beleuchtet für jedes Thema die Beziehung zum menschlichen Selbstbild.

Charles entwickelt die These, dass die Menschheit zum Spielball der Endphase von technologischen und wissenschaftlichen Programmen geworden ist. Für diese wissenschaftlichen Programme ist es wesentlich jedes Phänomen durch die Anwendung wissenschaftlicher Verfahren zu verstehen. Hierbei werden Reduktionismus, Messung, Klassifizierung und Zählung auf Bereiche angewendet, wo sie unpassend sind. Technologische Programme versuchen Kontrolle über die Natur zu erlangen, was oft dazu führt in solcher Weise in die Natur einzugreifen, dass unbeabsichtigte Folgen eintreten. Wenn diese unbeabsichtigten Folgen nicht länger geleugnet werden können, wird auf die übliche Weise reagiert : Man versucht noch mehr Kontrolle auszuüben. Charles argumentiert, dass die Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Lebensformen wichtiger für deren Evolution sein könnte als Wettbewerb. Er zeigt, wie das vorherrschende materialistische Weltbild - das versucht den Mensch von der Natur zu isolieren - scheinbar objektive wissenschaftliche Therien beschönigt.

Ein wirklich lesenswertes Buch !


 quelle: http://www.matrixwissen.de

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Aufstieg der Menschheit - Über die große Krise unserer Zivilisation und die Geburt eines neuen Zeitalters

Auszug aus 2 Kapiteln:

Arbeit und Kunst im Einklang

von Charles Eisenstein

Arbeit ist ein Wesensmerkmal modernen Lebens. Wenn wir jemand anderes fragen: „Was machst du?“, dann meinen wir normalerweise „Was arbeitest du?“, und damit meinen wir „Was tust du für dein Geld?“ Und Arbeit selbst, Wesensmerkmal des Lebens, wird mit Schinderei, Stumpfsinn, Opfer und Routine verknüpft; alltäglicher Plackerei. Diese Eigenschaften sind bezeichnend für die Maschine, und es ist kein Wunder, dass wir, da wir so sehr in die Maschinenzivilisation eingebettet sind, Arbeit als Gegensatz zu Freizeit und Spaß betrachten.

Der Niedergang der mechanistischen Betrachtungsweise des Universums und das Ende der Maschinenzivilisation bringt ein neues Versprechen – nicht die Abschaffung der Arbeit, sondern ihre Umwandlung. Arbeit wird in der Zeit nach dem Maschinenzeitalter eine neue Funktion übernehmen. Diese Umwandlung wird über den Inhalt und die Natur der Arbeit selbst hinausgehen und das wirtschaftliche „Beschäftigungsverhältnis“ revolutionieren. Arbeit und Freizeit, Job und Leben werden eins werden.

Jahrhundertelang haben Maschinen den Menschen bei mechanischen, mühsamen Aufgaben ersetzt. Paradoxerweise sind die meisten Berufe noch immer mühsam und mechanisch. Das kommt daher, dass die Megamaschine, trotz der Übernahme von immer mehr Funktionen durch Maschinen, stets neue Aufgaben erzeugt und ihre menschlichen Komponenten – genau wie ihre unbelebten Teile – ihre Normanforderungen erfüllen müssen. Der Versuch der Ausmerzung von Arbeit ist es gerade, der mehr Arbeit erfordert als er eliminiert, denn der Versuch an sich bedeutet eine Intensivierung der Maschinenmethodik. Wiederum können die Werkzeuge des Meisters nicht des Meisters Haus niederreißen. Die Transformation der Arbeit kommt in anderer Gestalt, als Futuristen aus zwei Jahrhunderten sich das vorstellten. Nicht weil alle mechanischen Tätigkeiten ein für allemal automatisiert worden wären, sondern weil die Gesellschaft immer weniger dieser Funktionen gebrauchen kann.

Eine Folge lokaler Währungen und grüner Technologien wird ein Rückgang im Umfang vieler Branchen sein. Viele Massenproduktionsprozesse heute sind nur deshalb effizienter, weil sie Kosten auslagern. Landwirtschaft ist ein Hauptbeispiel dafür. Massentierhaltung ist arbeitszeiteffizienter als Bio-Landwirtschaft, aber weit weniger effizient bezüglich Energieverbrauch oder Umweltverschmutzung. Wenn man alle Kosten einrechnet, werden viele industrielle Praktiken arbeitsintensiveren Methoden weichen. In vielen Bereichen wird Massenproduktion überholt sein, und mit ihr das Fließbandmodell, in dem Arbeit mechanisch, monoton und bruchstückhaft ist, wenig Fachkenntnis und persönlichen Kontakt erfordert, dafür aber viele Ebenen hierarchischen Managements.

Diese Eigenschaften stehen im Gegensatz zu Reparaturarbeiten, die lokal geschehen, in kleinem Umfang, gut geschultes Fachpersonal erfordern und sichtbare Ergebnisse zeitigen. Die wirtschaftliche Logik, die es heute billiger macht, eine neue Stereoanlage zu kaufen, statt die alte zu reparieren, wird sich umkehren, wenn die Rohmaterialien endlich ihre vollen Kosten im Preis enthalten und Entwickler beim Design auf Haltbarkeit und leichte Reparatur achten. Das Ergebnis wird arbeitsintensiver sein (Reparaturen verlangen viel Arbeit), aber die Natur dieser Arbeit wird sehr anders sein – genau wie das Wirtschaftsmodell, das dies nach sich zieht.

Ein weiterer Mechanismus, die das Fabriksystem mitsamt der Mumfordschen Megamaschine außer Kraft setzen wird, ist die zunehmend unbewältigbare Komplexität technischer Prozesse und betriebswirtschaftlicher Abläufe (unbewältigbar im Sinne des reduktionistischen Steuerungsmodells). Die daraus resultierende Transformation der Geschäftswelt, die man bereits in der Verflachung von Konzernhierarchien beobachten kann, ist nicht nur eine modische Laune, sondern eine praktische Notwendigkeit, eine Folge des Zusammenbruchs von Gestaltungsprozessen unter dem Gewicht ihrer eigenen Verwaltung. Zunehmend sind die komplexen Prozesse von heute nicht mehr für herkömmliches cut-and-control engineering zugänglich, bei dem das Problem als Spiegelbild traditioneller Geschäftshierarchien in seine Komponenten und Unterkomponenten usw. zerlegt wird. Weder in der Geschäftswelt noch im Ingenieurwesen funktioniert der alte Problemlösungsansatz des Zerlegens und getrennten Behandelns jedes Teils noch sonderlich gut.

In jeder Maschine, egal ob sie aus menschlichen oder unbelebten Teilen besteht, wächst die Komplexität der Beziehungen zwischen den Teilen exponentiell mit deren Anzahl. Das starke Anwachsen der Variablen gerät schnell außer Kontrolle, so dass traditionelle reduktionistische Lösungen ab einem gewissen Punkt solchen weichen müssen, die gewachsen sind und nicht gestaltet. Das geschieht bereits in vielen Bereichen wie dem Schaltungsdesign, wo evolutionäre Algorithmen nach Lösungen suchen, die für analytische Methoden unzugänglich sind. Softwaretechnik ist ein weiteres Beispiel, in dem die Komplexität des Produkts sich hierarchischem Management widersetzt; Lösungen wachsen bei Heerscharen unabhängiger Programmierer zunehmend von Grund auf.

Visionäre Denker wie Michel Bauwens haben die Peer-to-Peer (P2P)-Revolution auf dem Gebiet der Informationstechnologie als neues Modell auf öknomische, soziale und politische Organisation übertragen. P2P-Netzwerke erinnern erstaunlich an alte Geschenkwirtschaften und ebenso an die Eigenschaften einer schwundbasierten Ökonomie. Wie in einer Potlatch-Gesellschaft leitet sich der Status in einer solchen Gemeinschaft von der Menge deiner Beiträge ab, nicht von deinem Besitz. Im allgemeinen werden Ressourcen geteilt und nicht gehortet, und der Güteraustausch erfolgt auf Geschenkbasis. Solche Netzwerke haben ein neues Journalismusmodell (die Blogosphäre) erschaffen, die enorme Informationsmengen sammelt, filtert, bearbeitet und ordnet, und zwar weit effizienter als tranditionelle Nachrichtenorganisationen das können.34 Andere Strukturen mit P2P-Elementen sind beispielsweise Wikipedia und die Geflechte rund um Amazon, eBay und Google. Sie alle profitieren von der kostenlosen Informationsweitergabe.35 Ein Informationsanbieter nach dem anderen, der sich an das Geschäftsmodell des Anhäufens und Verkaufens großer Mengen proprietärer Informationen geklammert hat, ist auf der Strecke geblieben (die Encyclopedia Britannica ist nur ein Beispiel dafür). Andere im Bereich der Musik-, Film- und Software-Industrie kämpfen noch immer um die Erhaltung des Modells von Information als Besitz.

Eine enorme, viel deutlicher geschenkbasierte Schattenwirtschaft blüht am Rand der Sichtbarkeit. Leute, die an file-sharing-Netzwerken teilnehmen, vertrauen völlig auf dein Geist des Geschenks, wenn sie ihre Musiksammlungen oder Software-Cracks36 für jeden zum Download bereitstellen. In einigen dieser Subkulturen wird es als unsinnig angesehen, überhaupt Geld für Daten zu verlagen.

Das Konzept des Profits durch Verschenken ist Teil eines größeren Wandels bezüglich der Natur von Arbeit. Statt für Geld zu arbeiten wird Geld zum Nebeneffekt guter Arbeitsleistung. Arbeit, die nicht mehr Sklaverei für Geld darstellt, dient anderen Zielen: Schönheit, Hilfe, Spaß oder Selbstverwirklichung. Anders ausgedrückt wird der Arbeiter zum Künstler. Das ist auch eine Folge einer neuartigen Beziehung zu materiellen Gegenständen, die sich zu einer restaurativen Ökonomie entwickeln wird.

Wegen der Einbeziehung aller Kosten werden die Berge von Plastikzeug, die wir heute einkaufen, weitaus teurer werden – so sehr, dass es sie nicht mehr geben wird. Konsumgüter allgemein werden nicht mehr so billig sein, und ich meine das in beiden Bedeutungen des Wortes. Wir sehen uns als wohlhabendste Gesellschaft der Geschichte, aber ein Leben voll enormer Mengen von Billigzeug ist an sich armselig und billig. Mit Gegenständen zu leben, die nicht billig, sondern mit vollendeter Kunstfertigkeit, Aufmerksamkeit und Sorgfalt gefertigt wurden, wäre wahrer materieller Wohlstand. Kannst du dir eine Gesellschaft vorstellen, in der jedermanns Talente und Gaben völlig in seiner Arbeit zum Ausdruck kämen, statt im Interesse des Maschinenlebens unterdrückt zu werden? Kannst du dir eine Wohnung vorstellen, in der jedes Gerät, jedes Kleid und jedes Möbelstück so weise gestaltet sind, so gut gemacht, eine so elegante Verbindung von Schönheit und Funktion, dass niemand Wegwerfgegenstände vermissen würde, die zu billig sind, als dass sie jemanden kümmern? Das Leben wird vor schönen Gegenständen strotzen, weil wir in der restaurativen Ökonomie alle Kunsthandwerker sein werden, die ihre vollen Talente in ihrer Arbeit zum Ausdruck bringen, statt sie zwecks Joberhalt zu verleugnen. Teilweise wird es eine dramatische Wiederbelebung traditioneller Handarbeit geben, weil „natürliche Ressourcen“ so wertvoll geworden sein werden, dass es die allerbeste Verarbeitung rechtfertigt. Aber sogar im Hochtechnologiesektor wird es weit weniger hochspezialisierte Jobs als heute geben, und jeder wird sich selbst als Künstler betrachten.

Die restaurative Ökonomie wird so einige der grundlegenden Gegensätze unserer Kultur einebnen: Arbeit und Kunst, Arbeit und Freizeit, Nützlichkeit und Schönheit. Wenn dies geschieht, werden die edlen Ideale im Herzen unseres Traums vom technologischen Utopia in Erfüllung gehen: nicht dadurch, dass Arbeit überholt wäre, sondern durch Verwirklichung ihrer wahren Natur. Wenn Arbeit aus der Perspektive der Mumfordschen Maschine betrachtet wird, dann ist sie unentrinnbar einengend und unterdrückend. Darum strebten die technotopischen Träumer nach dem Ende der Arbeit; jeder Mensch ein König, der von Maschinensklaven bedient wird. Weil sie von ihren Vorurteilen über Arbeit vereinnahmt waren, konnten sie sich nichts besseres vorstellen. Arbeit und Kunst wiederzuvereinen, den Bruch zwischen Arbeit und dem restlichen Leben zu heilen, von dem der Ausverkauf unserer Zeit herrührt, ist ein viel radikaleres Bestreben.

Es ist eine Beleidigung unserer Würde, von jemandes Erzeugnissen zu leben, der erniedrigende Arbeit tun muss um zu überleben. Erzwungene Arbeit ist Sklavenarbeit. Eine wahrlich wohlhabende Person braucht das nicht. Können wir uns ein Leben vorstellen, in dem alle Gegenstände von Menschen hergestellt werden, denen es bestens geht?

Von den egalitären Gesellschaften der Altsteinzeit entwickelte sich die Menschheit zu großen agrarischen Zivilisationen, in denen diejenigen reich waren, die Sklaven besaßen. Im Maschinenzeitalter verschwand die offene Sklaverei, um durch ein System ersetzt zu werden, in dem aus Überlebensangst fast jeder Zwangsarbeit verrichtete. „Tu’s oder stirb!“ Genau, das ist Sklaverei. Das große Versprechen der Maschinentechnologie – jeder Mensch ein König! Jeder Mensch ein Gott! – hat sein Gegenteil erzeugt. Jeder Mensch ein Sklave. Sklaven ohne menschliche Besitzer, alle arbeiten unter dem Joch des Geldes. Doch nun, mit dem Ende des Maschinenzeitalters, sehen wir die Möglichkeit einer Rückkehr zum ursprünglichen Egalitarismus, wo Wirtschaft im Fluss der Geschenke in einem reichhaltigen Umfeld besteht.

Wenn es im Zeitalter der Wiedervereinigung noch Karriereberater gibt, werden sie uns helfen die Frage zu beantworten: „Welche meiner schöpferischen Talente gefällt mir am besten? Welche Kunst würde ich gern betreiben?“ Arbeit und Kunst stünden nicht mehr in Widerspruch, sondern wären ein und das selbe.

Die Wiedervereinigung von Arbeit und Kunst wird von einer neuen Art Materialismus begleitet sein. Im Achtgeben auf Dinge liegen Tugend und Freude. Vor den Tagen materieller Übersättigung und einer Flut billigen Zeugs haben Menschen genau das getan. Noch in den 1930ern schätzten die Leute Dinge wie Handwerkszeug, Angeln, Dreiräder und Spielzeug wert und diese wurden wohl gehütet, damit sie ein Leben lang oder sogar Generationen hielten. Heute – wen juckt’s? Warum so viel Zeit und Mühe auf etwas Billiges verwenden? Ein neues kostet nur 20 Dollar. Auf unser Zeug aufzupassen wurde genau wie Reparaturen des Fernsehgeräts unwirtschaftlich. Auf eine Weise ist das bequem, da wir von der Last befreit sind, auf unsere Dinge aufpassen zu müssen. Aber aus Sicht von Kapitel IV ist es Sklaverei. Wirtschaftliche Zwänge – der Austausch von Zeit gegen Geld – haben uns unfähig gemacht, uns die Tugend und Freude des Achtgebens auf Gegenstände leisten zu können. Die heutige Billig-Flut spart Zeit, macht aber unser Leben minderwertig. Indem sie die Umwandlung von Leben in Geld aufhebt, wird uns die restaurative Ökonomie befreien, so dass wir unsere Dinge wieder lieben lernen, und sie wird uns mit Gegenständen versorgen, die es wert sind.

Ich rede nicht der Lossagung von der materiellen Welt das Wort oder der Scheinspiritualität der Überwindung der Welt und des Fleisches im Sinne einer getrennten cartesischen Seele. Im Gegenteil. Ich sehe eine Zukunft, in der wir unsere materiellen Besitztümer mehr und nicht weniger lieben werden, so dass es uns kümmert, woher sie kommen und wohin sie gehen. Ich sehe eine Zukunft, in der wir das Leben in der materiellen Welt als Gelegenheit zur Teilhabe an ihrer ständigen Erzeugung von Schönheit erkennen.

Die Minderwertigkeit modernen Lebens ist mehr als nur eine Folge unseres Wirtschaftssystems; sie ist ein Spiegelbild der Entwertung von Dinglichkeit nach der cartesischen Entwendung des Geistes aus der Materie. Wen kümmert die materielle Welt, wenn sie von unserem spirituellen Selbst getrennt ist? Der Zusammenbruch von Newtons Weltmaschine wird uns wieder mit der Welt vereinen, und wir werden uns wieder in sie verlieben. Zu lieben heißt Grenzen aufzulösen, sich selbst zu erweitern, um einen Anderen in sich aufzunehmen. Das geschieht bereits. Ist es dir aufgefallen? Einer nach dem Anderen weisen wir die Prioritäten unserer Gesellschaft zurück und verlieben uns wieder in das Leben. Das ist unsere wahre Natur, und wir können sie nur mit steigendem Aufwand verleugnen. Es liegt in unserer Natur, das Leben in zweierlei Sinn zu lieben: biologisches Leben und unser eigenes Leben. Die Welt zu lieben und unsere Zeit darin zu lieben. Man hat uns lange so geängstigt, dass wir beide zurückgewiesen und im Ergebnis ihre Plünderung erlaubt haben: die Reduzierung der lebenden Welt auf Ressourcen, Dinge, Geld, und die Reduzierung unserer Zeit auf kommerzialisierte Stunden, Jobs, die bittere Notwendigkeit seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Die gute Nachricht ist, dass diese Dinge sich in ihr Gegenteil verwandeln werden, wenn wir die Trennung fallen lassen und uns in der Folge wieder in das Leben verlieben. Sowohl für die Welt als auch für uns selbst werden wir nicht weniger verlangen, als ein Leben, das leidenschaftlich der Erschaffung schöner Dinge, schöner Musik, schöner Ideen gewidmet ist. „Könnten du oder ich uns auch nur für einen Moment vorstellen, wie sehr meine Urenkelin und ihre Freunde das Leben lieben würden, und dass diese Liebe keine dahinschwindende Laune wäre, sondern eine nie versiegende Kraft, die jeden Moment des Schlafens und Wachens in ihrem Leben durchdringen würde?“

Ich streite nicht ab, dass es immer irgendwelches Geschirr abzuspülen, Toiletten zu reinigen, Dächer zu decken gibt – Aufgaben, die wir als hirnlos, mühselig oder abstoßend ansehen.37 Aber was ist verkehrt an körperlichen Anstrengungen zur Aufrechterhaltung des Lebens? Sollen wir Kaumaschinen erfinden, die uns die „Arbeit“ des Nahrungzerkauens abnehmen? Ist das Ziel des Aufstiegs der Menschheit, ewig im Bett liegen zu bleiben, angeschlossen an diverse Maschinen, die uns ganz ohne eigene Bemühung mit Nahrung, Freude und Aufregung versorgen? Das wäre die Summe des Versprechens der Maschine, oder? Ein Diener, der nicht nur alle Arbeit für uns erledigt, sondern ebenso auch unser Leben für uns lebt. Nein, die Tätigkeiten des Überlebens brauchen nicht mühselig zu sein. Was Arbeit mühselig macht ist die Opferung der Vielfalt an die Effizienz von Wiederholung und Norm. Hierin liegt der Unterschied zwischen Landwirtschaft und Gartenarbeit. Ersteres ist der Inbegriff von Plackerei, letzteres eine solche Freude, dass die Leute es trotz seiner wirtschaftlichen Unvernunft tun.38 Je mehr ein Bauernhof eher einer Fabrik als einem Garten ähnelt, desto ermüdender und lebensverleugnender wird Landwirtschaft. Traditionelle Landwirtschaft funktioniert nach genau den selben Prinzipien wie jedes andere Industrieunternehmen. In einem Garten verbringt niemand Wochen mit dem Pflücken von Baumwolle, Tomaten oder Trauben. Auf einem kleinen Hof mit Mischbetrieb verbringt niemand Wochen, Monate oder Jahre in immer dem selben Teilschritt beim Schlachten von Hühnern.

Was eine Aufgabe zur Belastung macht, ist nicht ihr Inhalt, sondern ihre Dauer, ihre Motivation und ihr Zweck. Seine eigene Toilette zu reinigen, ist weder erniedrigend noch besonders mühselig – ganz anders als das tägliche Reinigen von hunderten von fremden Toiletten. Niemand ist geboren worden, um Toiletten zu putzen. Und niemand würde sich einem solchen Leben unterziehen, der nicht gebrochen oder durch Bedrohung des Überlebens dazu gezwungen worden wäre. In einer Gesellschaft, in der Arbeit Kunst und Geld nicht knapp ist, werden Menschen ihre Zeit, ihre Würde oder Integrität nicht für Geld verkaufen wollen. Nicht nur Fließband- und niedere Arbeit, jede Tätigkeit, die erniedrigend oder lebensverleugnend ist, muss aus der Wirtschaft entfernt werden. Wie oft enthalten heutige Spezifikationen von Industriedesign solche Voraussetzungen?

Das Zeitalter der Wiedervereinigung ist keine Rückkehr in die Vergangenheit und kein Verzicht auf Technologie. Vielmehr werden sich die technologischen Beweggründe und Organisationsprinzipien ändern. Wenn die psychologischen und ökonomischen Kräfte, welche die Umwandlung von Leben in Geld vorantreiben, rückgängig gemacht werden, dann wird Technik nicht mehr dazu da sein, diese Umwandlung schneller und effizienter zu machen. Die Ingenieure der Zukunft werden im Sinne von Nachhaltigkeit, Würde und Schönheit gestalten. Sie werden, mit anderen Worten, Künstler sein, die Technik für eine Welt der Künstler im Garten Eden erschaffen. Der Konflikt, dem alle Künstler begegnen – zwischen einer Schöpfung für den Markt und einer für den Geist – wird erlöschen, wenn Arbeit und Kunst, Geld und Nachhaltigkeit übereinstimmen.

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Rückkehr zum Spiel

Viele Lehrer betrachten Kinder als unreife Erwachsene. Es würde wohl zu besserer und ’respektvollerer’ Lehre führen, wenn wir Erwachsene als verkümmerte Kinder ansähen.
– Keith Johnstone

Schule wurde während der frühen Industriellen Revolution erfunden, um Kinder an Arbeit zu gewöhnen, die ermüdend, monoton, entwürdigend und unerfüllend war. Die Umwandlung von Arbeit in Kunst fällt daher mit einer parallelen Umwandlung bei der Erziehung zusammen, die Kinder auf ihr Leben als Künstler vorbereiten wird. Im Abschnitt „Kooperationswährungen“ habe ich geschrieben: „Arbeit wird nicht mehr an die Suche nach Geld gebunden sein, sondern Wege suchen, wie man mit seinen Gaben und Temperamenten einander und der Welt am besten helfen kann.“ In diesem Zusammenhang wird Erziehung von einer Vorbereitung aufs Verdienen des Lebensunterhaltes in einen Prozess der Selbstentdeckung umgewandelt werden. Sie wird uns allen helfen, die Fragen zu beantworten: „Was tue ich sehr gern? Welches sind meine einzigartigen Gaben? Wie kann ich anderen helfen und zur Gestaltung einer schöneren Welt beitragen?“

Dass es diese Ideale sowohl in der Erziehung als auch bezüglich der Arbeit bereits gibt, deutet auf unsere intuitive Erkenntnis ihrer Gültigkeit hin und zeigt das unstillbare Verlangen nach einer Welt, die besser ist, als die, welche wir heute erleben. Tief im Innern wissen wir, dass Erziehung so sein sollte. Erzieher geben Lippenbekenntnisse für diese Ideen der Selbstentdeckung ab; in der Praxis aber spricht das Gebot der Kontrolle gegen ihre tatsächliche Verwirklichung.

Parallel zur Finanzkrise, die den Weg für ein neues Geldsystem frei machen wird, und zur Umweltkrise, die die Einführung eines neuen Produktionssystems anregen wird, schmettert uns eine Bildungskrise nieder, die das uns bekannte Schulsystem auszuradieren droht. Schon jetzt erleben wir ein Ausbluten der Schulen bei der Lehrbefähigung, der Legitimität und den Schülern, während Schulkriminalität steigt und Alphabetisierungsraten abstürzen. Die Antwort darauf ist typischerweise immer mehr Kontrolle: mehr Standardprüfungen der Schüler, strengere Zertifizierung der Lehrer, mehr bewaffnete Wachen, Metalldetektoren, Schließfachdurchsuchungen und Stacheldraht an Schulgebäuden.

Es gibt erfolgreiche Schulmodelle, die auf Lockerung von Kontrolle vertrauen, statt auf deren Verstärkung. Ihr Ausgangspunkt ist Vertrauen auf die angeborene Neugier und Kreativität des Menschen. „Der Mensch möchte von Natur aus lernen“, schrieb Aristoteles, wie die enorme Fähigkeit eines Kindes zu ungezwungenem Lernen (bevor die Schule beginnt) beweist. Erziehungsphilosophen der Montessori- und Waldorf-Bewegungen haben vollständige Pädagogiken um den Aufbau von Ressourcen herum errichtet, welche die natürliche Neugier des Kindes und den Wunsch nach Wachstum in jeder Phase der Entwicklung unterstützen. Ihre Alternativen zum Zwang, die aus dem Vertrauen in die angeborene Neugier, Intelligenz, Motivation und Weisheit des Menschen geboren sind, wenden sich gegen die institutionellen Anforderungen der Maschinenzivilisation und die Ideologie der Eroberung der (menschlichen) Natur.

Ein schönes, unverfälschtes Beispiel für Alternativen zur kontrollbasierten Bildung ist die Sudbury Valley Schule in Massachusetts, die dem Prinzip des Vertrauens in das Kind sogar über Waldorf und Montessori hinaus folgt. Es ist eine Schule ohne Lehrplan, Prüfungen, Abschlüsse und Regeln – außer jenen, die die Schüler selbst verarbschiedet haben. Einer der Gründer schreibt:

„Wir wollten, dass die Schüler völlig frei in der Wahl ihrer Materialien, Bücher und Lehrer sind. Wir fanden, dass die einzig richtige Art im Leben zu lernen nur dann stattfindet, wenn die Lernenden sich ohne zureden, Bestechung oder Druck in ihre eigenen Themen stürzen... Um ehrlich zu uns selbst zu sein, mussten wir völlig von der Idee eines von der Schule inspirierten Programmes abgehen. Aller Antrieb musste von den Schülern kommen, während die Schule lediglich zur Antwort auf diesen Antrieb verpflichtet ist.“39

„In Sudbury Valley ist beispielsweise kein Kind je gezwungen, gedrängt, überredet oder bestochen worden, das Lesen zu lernen. Bezeichnenderweise gibt es dort keine Dyslexie. Kein Abgänger war je real oder funktional Analphabet.“ Trotz des Fehlens jeglicher äußerer Zwangsmechanismen oder Anreize zeigen die Kinder von Sudbury einen erstaunlichen Leistungsgrad, jedoch nicht notwendigerweise in den traditionellen akademischen Fächern. Doch selbst dort decken sie normalerweise die Grundlagen ab, ganz einfach, weil die traditionellen Stoffe eigentlich recht simpel sind. Eine Anekdote über die Schule beschreibt, wie eine selbstmotivierte Gruppe von Neun-bis-Zwölfjährigen den gesamten Lehrplan in Arithmetik von der ersten bis zur sechsten Klasse in zwanzig Stunden gelernt hat.40 Ein externer Bildungsexperte war nicht überrascht:

„Jeder weiß, dass das Fachwissen selbst nicht so schwer zu verstehen ist. Tatsächlich schwer, geradezu unmöglich, ist es, dieses in die Köpfe von jungen Leuten zu hämmern, die es zutiefst hassen. Die einzige Methode, mit der wir den Hauch einer Chance haben, ist jahrelanges schrittweises Einbleuen. Selbst dann funktioniert es nicht. Die meisten Sechstklässler sind mathematische Analphabeten. Bei einem Kind, das dieses Zeug lernen will, müssten zwanzig Stunden reichen.“41

Noch unverständlicher (nach Vorstellung des Programms der Trennung) als selbstmotiviertes Lernen ist die völlige Selbstverwaltung der Schülerschaft. Die Schulversammlung, in der jeder Schüler zwischen fünf und achtzehn und jeder Angestellte eine Stimme hat, stellt alle Regeln auf und trifft alle wichtigen Entscheidungen an der Schule, was in scharfem Kontrast zu den Abstimmungen an meiner eigenen Highschool steht, bei denen wir Schulmaskottchen und die Königin des Schulfestes wählen durften. In Sudbury besitzen Schüler echte Macht: Sie entscheiden über die Budgetierung von Mitteln, Anstellung und Entlassung von Lehrern und über Regeln und Strafen bei Übertretungen. Regelverletzer müssen sich vor einem mit Schülern bestückten Gericht verantworten. Weil wir der menschlichen Natur nicht trauen, stellen wir uns vor, dieses System würde nie funktionieren, aber in den meisten Fällen tut es das wunderbar. Manchmal begeht die Versammlung natürlich Fehler: An der Circle School, einer demokratischen Schule in Pennsylvania, wo meine Kinder hingehen, stimmte die Versammlung für ein Verbot von Hausarbeiten (die Lehrer votierten dagegen, wurden jedoch überstimmt). Also gab es keine Hausarbeiten – für zwei Wochen; dann machte die Versammlung die Entscheidung rückgängig. Die Schüler hatten durch eigene Erfahrung ihre Notwendigkeit eingesehen, ganz anders als im üblichen Modell, wo der Grund für Hausarbeiten darin besteht, „dass man sie halt machen muss“. Sie lernen eher Selbstvertrauen als Autoritätsgehorsam, ein Modell, das nur Sinn ergibt, wenn man glaubt, dass man dem Selbst trauen darf.

Das Sudbury-Modell verkörpert radikale Ansichten über die menschliche Natur und unser Selbstverständnis. Die Schule ist Vorreiter einer Vision, wie Schule im Zeitalter der Wiedervereinigung sein wird, wenn die gegenwärtigen Anstrenungen, die Illusion des eigenständigen und getrennten Selbst zusammenzuhalten, schließlich untragbar geworden sind und zusammenbrechen. Bis das geschieht können Schulen wie Sudbury Valley ähnlich wie LETS-Währungen und Energieheilungen nur Randbereiche unserer Gesellschaft einnehmen, denn sie widersprechen der vorherrschenden institutionalisierten Weltanschauung. Dennoch sind sie von enormer Bedeutung, denn sie liefern Modelle, die wir natürlich dankbar übernehmen werden, wenn wir die Gesellschaft nach der Zuspitzung der Krisen neu errichten.

Wenn sie nie „gezwungen, gedrängt, überredet oder bestochen“ werden, etwas zu tun, was tun dann die Schüler von Sudbury Valley? Wir sind so sehr an ein Leben verinnerlichter Zwänge gewöhnt, dass wir uns vorstellen, ohne Selbstkontrolle bestünde es aus Faulheit, Genusssucht und Müßiggang. Wenn ich meine Studenten frage, was geschähe, wenn sie all ihre Willenskraft verlören, dann sagen sie normalerweise, dass sie bis Mittags im Bett bleiben, den ganzen Tag vor dem Fernseher herumlümmeln, die nächstliegendsten Freuden und Annehmlichkeiten genießen und danach in „eine unbestimmte, unendliche Spirale von Müßiggang, Trägheit und Apathie“ abgleiten würden.42 Aber das ist nur Rebellion gegen „Arbeit“, wie sie seit der Industriellen Revolution, wenn nicht noch länger, als etwas Unschönes, Entwürdigendes oder Mühseliges definiert wird, das wir gezwungen sind zu tun, um zu überleben. Das ist nicht menschliche Natur. Müßiggang und Genusssucht liegen nicht in der menschlichen Natur. Doch was dann? Wir sehen es in Sudbury Valley, denn das, was Kinder in Abwesenheit von Zwang tun, ist Spiel; ganz einfach.

Und hier stoßen wir auf eine der bezeichnenden Dualitäten unserer Kultur: die Unterscheidung zwischen Arbeit und Spiel. Der letzte Abschnitt von Kapitel II, „Das spielerische Universum“, beschreibt, wieso Spiel rein um des Spiels Willen als Zeitverschwendung betrachtet wird, eine Sichtweise, die sich auf die der modernen Wissenschaft und Wirtschaft zugrundeliegende Annahme stützt, dass der Sinn des Lebens im Überleben liege. Immerhin ist jede fürs Spiel aufgewendete Minute eine verlorene Gelegenheit, im Leben voranzukommen. Ohne leichtfertig oder albern klingen zu wollen, „Spiel in der Schule ist eine ernste Sache... Spiel ist für Kinder immer ernst, genau wie für Erwachsene, die nicht vergessen haben, wie es geht.“43 Spiel ist in der Tat nichts anderes als die kindliche Version dessen, was auch das Erwachsenenleben sein sollte. Sein Wert liegt nicht in der Entwicklung motorischer Fähigkeiten oder von Problemlösungstechniken; „Was es lehrt, ist die Fähigkeit, sich zu konzentrieren und seine Aufmerksamkeit uneingeschränkt auf die anstehende Aufgabe zu fokussieren, und zwar ohne Rücksicht auf Grenzen – keine Müdigkeit, keine Hetze, keinen Grund, eine gute Idee mittendrin aufzugeben, um mit etwas anderem weiterzumachen.“ Spiel ist unbeschränkte, von innen kommende Kreativität. Im Erwachsenenleben ist das Spiel hinter der erbarmungslosen Herrschaft von Regeln verschwunden, die uns davon abhalten, uns einer Sache vollständig „ohne Rücksicht auf Grenzen“ zu widmen. Diese Regeln sind die Grenzen: Termine, Druck, Schuld, Existenzängste. Wir schauen ständig über unsere Schulter.

Wir erfahren die Konzentration und die uneingeschränkte Fokussierung des Spiels als ein Gefühl von Zeitlosigkeit. Joseph Chilton Pearce nennt diesen Zustand, in dem sich unsere Lern- und Gestaltungsfähigkeit auf dem Gipfel befindet, „Mitgerissenheit“. (Ironischerweise schaffen die verklausulierten Drohungen, mit denen wir Lernen anregen, gerade einen psychologischen Zustand, welcher dem Lernen entgegensteht.) Die Zeitlosigkeit des Spiels ist beinahe unvereinbar mit dem geschäftigen, geplanten Leben eines modernen Erwachsenen (oder Schulkindes). Wie in Kapitel II erklärt, waren primitive Gesellschaften zeitlose Gesellschaften: Stunden und Minuten, Zeiten und Daten, Uhren und Terminkalender erschienen erst, als Arbeitsteilung und die Maschine komplexe Koordination menschlicher Aktivitäten nötig machten. Ein spielerisches Leben ist ein zeitloses Leben.

Im Folgenden eine Passage aus „Free at Last“, die ich zitieren möchte, weil sie mich zu Tränen rührt, so groß ist das von ihr offenbarte Verbrechen der Zivilisation am menschlichen Geist und so einfach ist das darin enthaltene Rezept.

Die Schule öffnet um 8:30 früh und schließt um 17:00. Es ist nicht ungewöhnlich, dass jemand um 9:00 in die Dunkelkammer geht, die Zeit vergisst und um 16:00 wieder auftaucht, wenn die Arbeit getan ist.

Jakob setzt sich vor die Töpferscheibe. Er ist 13 Jahre alt. Es ist erst 10:30. Er macht sich bereit und beginnt Töpfe zu drehen. Eine Stunde vergeht. Zwei Stunden. Um ihn ist Leben. Seine Freunde spielen Fußball – ohne ihn. Drei Stunden. Um 14:15 erhebt er sich von der Scheibe. Heute waren seine Bemühungen fruchtlos. Kein einziger Topf befriedigt ihn.

Am nächsten Tag versucht er es erneut. Diesmal erhebt er sich um 13:00, nachdem er drei Exemplare fertiggestellt hat, die er mag.

Um 9:00 spielen Thomas und Nathan, elf Jahre alt, Dungeons and Dragons. Sie sind um 17:00 noch nicht fertig, und auch nicht um 17:00 des nächsten Tages. Um 14:00 des dritten Tages packen sie ein.

Shirley ist neun, und sie macht es sich auf einem Stuhl gemütlich, um ein Buch zu lesen. Sie macht zuhause damit weiter, auch die nächsten drei Tage, bis sie damit fertig ist.

Cindy und Sharon, sechs Jahre alt, gehen im Wald spazieren. Es ist ein wunderschöner Frühlingstag. Sie sind vier Stunden unterwegs.

Dan wirft seine Leine an einem frühen Herbstmorgen in den Weiher. Drei Jahre später fischt er noch immer.

Kannst du dies als Modell dafür anerkennen, wie das Leben sein sollte? Seine Aktivitäten auszusuchen und sich ihnen voll zu widmen, bis man mit dem Ergebnis zufrieden ist? Von jeglichen Terminen oder Anforderungen außer unseren eigenen frei zu sein? Wie es im mächtigsten Archetyp für Schaffenskraft in unserer Kultur ist, der biblischen Genesis, wo Gott nach der Erschaffung der Welt sagte: „Es ist gut“. Heute jedoch genügt „gut“ nicht; es muss „gut genug“ sein. Gut genug für den Abschluss, den Chef, den Markt. Und damit verleugnen wir den schöpferischen Zweck, für den wir hier sind. Aber wie der dreizehnjährige Jakob verlangt etwas in uns die Erschaffung von Schönheit unabhängig von solchen Begrenzungen; so lange wie nötig in einen Schöpfungsakt um dessen selbst Willen einzutauchen, so dass wir ihn am Ende mit Zufriedenheit betrachten und sagen: „Es ist gut“.

Daniel Greenberg schreibt: „Zeit ist in Sudbury Valley kein Gebrauchsgegenstand. Sie wird weder schlecht noch gut ’genutzt’. Sie wird nicht ’verschwendet’ oder ’gespart’... Der Respekt, den die Schule dem persönlichen Rhythmus zollt, ist unverletzlich.“ Die Kinder dort bieten uns ein Modell, das nicht nur für Bildung und Erziehung steht, sondern fürs Leben; es untergräbt kulturelle Annahmen, die so tief verwurzelt sind, dass wir uns ihrer kaum bewusst sind. Wenn wir Zeit nicht mehr als etwas ansähen, das man benutzt, verschwendet oder spart, so wäre das eine weit größere Revolution als alles, wovon Karl Marx geträumt hat.

Ich habe die Sudbury Valley School deshalb so ausführlich behandelt, weil sie ein Modell demonstriert, welches uns das Spiel zurückbringt. Wieder zu spielen, ist der Schlüssel zum Sturz der Vorherrschaft gemessener Zeit, die uns über Jahrtausende immer enger gefesselt hat. Seit der frühen Kindheit haben nur wenige unter uns je ein zeitloses Leben erfahren – außer in kurzen, verstohlenen Momenten. Wir Erwachsenen haben Spiel und Kreativität zumeist an die Ränder verbannt, Wochenendhobbys, die für unseren Lebenserwerb nicht zählen, genau wie normale Schulkinder sie heimlich während der Pausen oder hinter dem Rücken des Lehrers ausleben müssen.

Ich rede nicht einer Rückkehr zur Steinzeittechnik das Wort, weil das lediglich die bitteren Konsequenzen der Maschinengläubigkeit rückgängig macht. Obwohl sich die äußeren Formen von Technik, Geld, Medizin und Bildung sicher ändern werden, werden sie das als Ergebnis einer neuen Beziehung zum Universum tun, das sich am besten als verspielt beschreiben lässt. Spiel ist nicht nur zeitlos oder frei von Zwängen, die Hässlichkeit als Preis des Überlebens zur Folge haben, sondern es beendet die für das Zeitalter der Trennung typische künstliche Unterscheidung zwischen dem Selbst und dem Anderen. Im mitreißenden spielerischen Zustand verschwindet die Vorstellung vom getrennten Selbst, wenn uns die anliegende Aufgabe verschluckt; statt eines eigenständigen Subjekts, welches das Universum manipuliert, werden wir ein organisches Agens der kreativen Prozesse des Universums. Durch uns gestaltet sich das Universum selbst. Das selbe gilt für eine andere Art von Spiel, das nicht gestaltend, sondern „erkundend“ genannt werden könnte. Wir spielen mit unseren Schranken, erkunden unsere Grenzen, definieren wer wir sind. Die Grundform davon könnte ein Kind sein, das mit seinen Zehen, Händen und Stimmbändern spielt und dabei seine Bewegungen, Sinnesorgane und Sprache koordinieren lernt. Es entdeckt nicht lediglich die bereits zuvor existierende Wirklichkeit seines Körpers; seine Erkundungsgänge stimulieren die Entwicklung seines Körpers. Wahres Spiel ist an sich in allen seinen Aspekten unausweichlich kreativ.

Das Zeitalter der Wiedervereinigung wird ein Zeitalter eines Spiels sein, das jede menschliche Unternehmung neu ausrichtet; nicht nur Erziehung, sondern auch Arbeit, Kunst und Wissenschaft. Wie ein Kind, das tatsächlich spielend seinen Körper gestaltet, wird die Wissenschaft nicht länger von einer unabhängig existierenden Wirklichkeit „da draußen“ ausgehen, die ihrer Entdeckung harrt. Doch was ist mit der Wissenschaftlichen Methode, die sich auf Newtons Vorstellung von Determinismus und Objektivität stützt? Bacon hat sie als ein Mittel zur Untersuchung der Natur und der Enthüllung ihrer Geheimnisse bezeichnet. Die Wissenschaftliche Methode verkörpert jedoch auf der Rückseite ihrer leidenschaftslosen Objektivität auch geistige Demut. Sie repräsentiert die Absicht, sich nicht an vorgefassten Meinungen (Hypothesen) festzuklammern, sich nicht an bereits bestehende Erkenntnisse über die Welt und unser Verhältnis zu ihr zu krallen (was ein Experiment wirklich ist: ein Weg zur Erkundung der Beziehung zur Welt). Die Wissenschaftliche Methode wird auch Teil der künftigen Wissenschaft sein, aber sie wird im Geist des Spiels gesehen werden. Experimente – nichts anderes als die Essenz von „Mal sehen, was passiert, wenn...“ - werden eine Art Spiel mit der Natur sein, nicht die von Bacon beschriebene Folter. Wir werden Hypothesen nicht nur dadurch prüfen, wie sie die Welt verändern, sondern wie sie uns selbst beeinflussen. Wir werden nicht nach Kontrolle der Natur streben, sondern unseren Platz in ihr zu finden versuchen. Die Natur wird unsere Lehrerin sein, nicht das Objekt unserer Herrschaft, denn wir werden erkennen, dass ihre Schönheit und komplexe Einheit jenseits unserer rationalen, reduktionistischen und damit kontrollierenden Vorstellung liegt.

Wie der Körper, den das Kind entdeckt und entwickelt, ist auch unser Platz in der Natur nicht statisch oder einengend, sondern entfaltet sich fortgesetzt und wird durch unser Spiel sowohl entdeckt als auch gestaltet. Das an entdeckerisches Spiel angelehnte Wissenschaftsmodell passt zu einer Fortschritts- und Bestimmungsauffassung bezüglich einer Umwelt, in der es eine Rolle auszufüllen versuchen wird, die jenseits unseres Daseins als getrennte Wesen besteht. Als solches ist es eng mit prähistorischen Ritualen verwandt, die wir in Projektion unserer eigenen Ideologie als unfähigen Versuch zur Kontrolle der Natur sehen; beispielsweise um Jagdglück zu bringen. Tatsächlich aber sind Rituale dazu gedacht, „das Gleichgewicht der Erde wiederherzustellen“, den Schaden auszugleichen, den die bereits beginnende Trennung des Menschen von der Natur erzeugt.

Ein Aspekt des Zeitalters der Wiedervereinigung wird die Verschmelzung von Wissenschaft und Religion sein, die so lange getrennt waren. Wir sehen in den zunehmend mystischen Metaphern der Quantenmechanik bereits die Vorzeichen der Erkenntnis einer natürlichen Intelligenz, die alles durchdringt, und das spirituelle Erwachen, welches unweigerlich ein ökologisches Verständnis der Natur begleitet. Mit dem Zusammenbruch der Objektivität wird auch die Trennung zwischen Experiment und Ritual fallen, denn beide werden das selbe Ziel anstreben: unsere Rolle und Funktion im dynamischen Gleichgewicht der Natur zu entdecken und in Kraft zu setzen.

Die sich auftürmende Zuspitzung der Krisen bereitet dem Zeitalter der Trennung ein Ende, und gleichzeitig allem, das wir Zivilisation nennen. Doch braucht das Ende der Zivilisation, wie wir sie kennen, keine Rückkehr in die Vergangenheit zu bedeuten. Wir setzen den Aufstieg der Menschheit nur deshalb mit zunehmender Herrschaft über die Natur gleich, weil wir dem Universum seine ihm innewohnende schöpferische Kraft, Heiligkeit und Bestimmung aberkennen. Wenn wir verstehen, dass die Natur selbst dynamisch und kreativ ist und wächst, dann müssen wir sie nicht länger überwinden, sondern uns einfach mehr an ihr beteiligen.

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quelle: http://www.kanope.de