Pharmalobby bedroht Naturheilkunde

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Von Dr. Matthias Schmidt

EU-Gesetze und Naturheilmittel: Budapester Ayurveda-Symposium verdeutlicht Probleme in der europäischen Gesetzgebung
Am 31. März 2011 werden sich die Bürger Europas nach dem Willen der EU-Kommission von vielen bewährten Naturheilmitteln verabschieden müssen. An diesem Tag treten die bislang von der Bevölkerung weitgehend unbemerkten europäischen Regelungen zur Registrierung traditionell verwendeter pflanzlicher Arzneimittel voll in Kraft. Damit endet die 2004 beschlossene Übergangsphase, bis zu deren Ende pflanzliche Gesundheitsprodukte entweder eine offiziell von der europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA, European Food Safety Authority) genehmigte Aussage zum gesundheitlichen Nutzen aufweisen oder aber als traditionelles pflanzliches Arzneimittel registriert sein müssen. Was so einfach klingt, weist in der Praxis erhebliche Tücken auf.




Wirksamkeitsnachweise gefordert
Viele pflanzliche Zubereitungen, auch die des ayurvedischen Medizinsystems, waren in der Vergangenheit als Nahrungsergänzungsmittel im Handel. Dies wird in Zukunft nicht mehr möglich sein: Die so genannte „Health Claim Directive“ der EU legt fest, dass gesundheitsbezogene Aussagen auf Nahrungsmitteln in Zukunft von der europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (European Food Safety Authority, EFSA) genehmigt werden müssen. Wie sich in der Praxis herausgestellt hat, haben Produkte mit pflanzlichen Inhaltsstoffen aber offenbar keine Chance auf eine solche Genehmigung. Wie sich in den letzten Monaten immer deutlicher zeigte, legt die EFSA für Gesundheitsaussagen pflanzlicher Zubereitungen extrem rigorose Ansprüche an – Anforderungen, die nach Meinung von Experten völlig überzogen sind und nicht selten höher liegen, als es bei der Zulassung von Arzneimitteln erforderlich wäre. So fordert die europäische Behörde bestimmte Formen von Wirksamkeitsnachweisen, insbesondere Doppelblindstudien an Gesunden, die in der Praxis gar nicht durchführbar sind. Möglicherweise ist dies politisch gewollt, um den Markt der Nahrungsergänzungsmittel in das Korsett der Arzneimittel zu zwängen – mit dem Verweis auf die im Jahr 2004 neu geschaffene Möglichkeit, pflanzlichen Produkten mit langer Anwendungstradition und anerkannter Anwendungssicherheit unter den Bedingungen der „erleichterten Registrierung“ den Status als Arzneimittel zu geben.

Was theoretisch wie ein großes Entgegenkommen aussieht, erweist sich in der Praxis lediglich als ein Geschenk an die pharmazeutische Großindustrie, von dem die kleinen Hersteller naturheilkundlicher Zubereitungen kaum profitieren können. Letzteres betrifft insbesondere die Präparate der ayurvedischen Medizin – ein Heilverfahren, das ausschließlich mit natürlichen Mitteln und einer ganzheitlichen Herangehensweise arbeitet. Zubereitungen aus Arzneipflanzen, Naturstoffen und Mineralien nehmen dabei eine zentrale Rolle ein. In der Regel verwenden ayurvedische Therapeuten auf den Patienten individuell zugeschnittene Kombinationspräparate, die, wenn sie im Vorfeld als fertige Packung hergestellt werden, in Zukunft eine Registrierung durchlaufen müssen.

Problem bei der Registrierung von Wirkstoffkombinationen
Hier zeigt sich nun sehr deutlich ein kapitaler Webfehler der EU-Regelung zu traditionellen Zubereitungen: Nach dem europäischen Gesetz können ausschließlich Zubereitungen aus Pflanzen registriert werden, nicht aber Kombinationen mit anderen, nichtpflanzlichen Stoffen. Seitens der EU wird hier zwar darauf hingewiesen, dass Mineralstoffe und Vitamine explizit als ergänzende Zusatzstoffe in kleinen Mengen zugelassen sind – dies gilt aber spätestens dann nicht mehr, wenn die Mineralstoffe von der Menge her als Wirkstoffe anzusehen sind. Der Teufel steckt zudem im Detail: Als ergänzende Mineralstoffe kämen viele der ayurvedischen Formulierungen nicht in Betracht, zum Beispiel Kochsalz oder Kalzium aus Muschelschalen. Gänzlich ausgeschlossen sind nach dem geltenden Gesetzestext andere Naturstoffe wie Menthol und Stoffe tierischen Ursprungs wie Butter, Honig oder Propolis. Damit entfällt für einen großen Teil ayurvedischer Zubereitungen die Möglichkeit, sie auf legalem Weg in der EU zu vermarkten – und dies, obwohl für die allermeisten Zubereitungen die Anwendungssicherheit außer Frage steht. Schließlich steht der EU-Forderung nach einer mindestens 30-jährigen Tradition als Voraussetzung für die Registrierung eine 5.000-jährige Erfahrung aus Indien gegenüber.

Weitere Hindernisse

Durch die Hintertür der europäischen Rechtsprechung kamen zudem Erschwernisse bei der Registrierung traditioneller pflanzlicher Zubereitungen: So sind nach der heutigen Auslegung Kinder und Frauen im gebärfähigen Alter von der Anwendung solcher Zubereitungen praktisch ausgeschlossen. Durch die Anforderung, dass nur Angaben der Selbstmedikation (also ohne Überwachung durch einen Therapeuten) auf die Packungen aufgebracht werden dürfen, sind die genehmigten Anwendungsgebiete in der Regel so verwässert, dass die Produkte kaum mehr im traditionellen Sinne eingesetzt werden können. Dazu kommt die Forderung nach toxikologischen Studien, die im EU-Gesetz gar nicht vorgesehen waren. All dies verteuert die Registrierung und verringert die praktische Nutzanwendung für Therapeuten, Hersteller und nicht zuletzt für den Verbraucher. Bereits heute beobachtet man eine Verschiebung der Vertriebswege hinein in den völlig unkontrollierbaren Internethandel – ein Bereich, in dem in der Praxis Beschränkungen der Werbeaussagen und Regeln für die Qualitätskontrolle zulasten des Verbrauchers keine wesentliche Rolle spielen.

Ayurveda-Experten berieten sich

Die Probleme mit der aktuellen Gesetzeslage wurden Ende März in Budapest auf einem von der European Ayurveda Association (EUAA) organisierten Treffen von europäischen und indischen Behördenvertretern, Spezialisten für EU- und WTO-Recht, Mitgliedern des EU-Parlamentes, Verbänden sowie Herstellern ayurvedischer Präparate besprochen. Dabei wurden neben den bereits erwähnten Einschränkungen die prohibitiv hohen Kosten für die Erstellung der geforderten Unterlagen verdeutlicht. Das Hauptproblem liegt in den extrem hohen Anforderungen für den Nachweis der Qualität. Hier geht es nicht um die selbstverständlich akzeptierte Anforderung, dass in pflanzlichen Arzneimitteln Standards für Schwermetalle, Schimmelpilze und Bakterien und Pestizide einzuhalten sind, und dass Verwechselungen des Pflanzenmaterials ausgeschlossen werden müssen. Es geht vielmehr um die im „Kleingedruckten“ enthaltenen Anforderungen an die Analysemethoden, die insbesondere bei Kombinationsprodukten praktisch nicht erfüllbar sind. Für begründete Fälle sehen die Regelungen Ausnahmen vor. Der Nachweis, dass etwas technisch nicht machbar ist, kann aber leicht Gelder im fünfstelligen Eurobereich verschlingen. Reine technisch-analytische Kosten für die Qualitätskontrolle können selbst bei Kombinationen mit nur drei Pflanzen rasch 250.000 Euro übersteigen. Beträge, die für hunderte ähnlicher Zubereitungen investiert werden müssten. Für die meisten mittelständischen Hersteller ist damit der Begriff der „erleichterten Registrierung“ eine gesetzliche Mogelpackung.

Aussichten für die Zukunft
Ob Präparate in Zukunft mit gesundheitsbezogenen Aussagen als Nahrungsergänzungsmittel auf den Markt kommen können, ist zumindest für die pflanzlichen Zubereitungen fraglich. Ohne Angabe eines Verwendungszwecks würde aber für die Hersteller entsprechender Präparate die wirtschaftliche Grundlage zum größten Teil entfallen. Durch die bevorstehende Umsetzung der neuen Regelungen werden vor allem die mit ayurvedischen Heilmethoden arbeitenden Therapeuten in ihrer Arbeit behindert: Mit Ausnahme von Eigenrezepturen, die individuell für jeden Patienten in der Apotheke angefertigt werden müssten, stünden die Mehrzahl der im Moment noch standardisiert hergestellten ayurvedischen Zubereitungen der Therapie nicht mehr zur Verfügung. Auf dem Budapester Treffen wurde deutlich, dass auf europäischer Ebene dringend eine tragfähige Lösung angestrebt werden muss. Eine Änderung der gesetzlichen Grundlagen hat jedoch nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn die Entscheidungsträger der EU das Problem zur Kenntnis nehmen. Dies aber liegt in der Hand der Verbraucher, die ihren Wunsch nach Therapiefreiheit hinsichtlich naturheilkundlicher Verfahren gegenüber den EU-Abgeordneten ihres Wahlkreises deutlich machen sollten. Auch die Verbände der Naturheilkunde wie zum Beispiel die EUAA, die sich um politische Lösungen bemühen, benötigen den Rückhalt der Bürger. Ansonsten droht insbesondere bei ayurvedischen Therapieverfahren die Gefahr, dass mit Ablauf der Übergangsfrist am 31. März 2011 ein großer Teil der gewohnten und bewährten Mittel für den Patienten nicht mehr zur Verfügung steht.

Infos: www.euroayurveda.com
Quelle: http://www.yoga-aktuell.de