Erich Fromm: Die seelischen und geistigen Probleme der Überflussgesellschaft

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Fromm verbindet die Erkenntnisse der Psychoanalyse mit denen der Soziologie und zielt darauf, den Menschen von »weltlichen Götzen« wie Haben- und Konsumsucht, Verehrung von Macht und Idolen und struktureller Gewalt zu befreien. Wegen seiner kritischen Einstellung gegenüber Sigmund Freud wird er zu den »Neopsychoanalytikern« gerechnet.



Lesung:
Schon das Thema selbst zeigt eine der Schwierigkeiten an, die ich im Laufe dieses Vortrages im Einzelnen näher ausführen zu suchen werde. Nämlich was ist das, geistig? Psychologisch wissen wir was das ist, mehr oder weniger und was wir damit verstehen. Aber geistig ist schon ein Wort, was nicht ganz eindeutig mehr bestimmbar ist, oder nicht ganz eindeutig verstanden wird. Ich meine es hier in einem Sinn, den man auch aus-drücken könnte mit dem Wort spirituell, den man auch ausdrücken könnte mit dem Wort religiös, und das ich sogar vorziehen würde mit dem Symbol “X” auszudrücken, weil es das einzige Symbol ist, was keine spezielle historische Referenz hat …
Nun zum Thema selbst wird man vielleicht den Einwand machen können, wie man überhaupt im Jahre 1966 (!) von einer Überflussgesellschaft sprechen kann. Ist es nicht wahr, dass 2/3 der Menschheit nicht wie wir im Überfluss leben, sondern in einer Armut in der das Problem des Hungers das zentrale ist? Ist es nicht sogar wahr, dass im reichsten Lande der Welt, in den Vereinigten Staaten von Amerika, ein nicht ganz unbeträchtlicher Teil der Bevölkerung, sagen wir mal grob gesprochen 20%, in Armut lebt? Die zwar nicht zu vergleichen ist mit der Armut von Indien, oder mit der Armut von Südamerika, aber immerhin, die weit entfernt ist, von dem was man Überflussgesellschaft nennen kann.


In der Tat, dass ist richtig, aber das enthebt uns doch nicht der Notwendigkeit, oder auch der Berechtigung, von den Problemen einer Überflussgesellschaft zu sprechen. Zum Teil deshalb, weil in der Tat, sowohl in Europa, mit der Ausnahme vielleicht von Ländern wie Spanien und Portugal, und mit der relativen Ausnahme von ärmeren Ländern wie Jugoslawien, bei ärmer meine ich nicht, ärmer als Spanien, sondern ärmer als die reichen, oder die Wohlstandsländer der Industriegesellschaft, weil in der Tat die großen Schichten des mittleren Bürgertums, bis in die Arbeiterschaft hinein, tatsächlich schon beginnen, an der Überflussgesellschaft teilzunehmen und weil es auch nicht zweifelhaft erscheint, ausser wenn man nicht ganz den unberechtigten Zweifel hat, ob die Menschheit im Stande sein wird, in den nächsten 5, 10 oder 20 Jahren, die Gefahr eines nuklearen Krieges zu bannen. Wenn das geschieht, wenn die Gefahr gebannt werden kann, dann wird in der Tat wenig Zweifel sein, dass in 20 Jahren Amerika, oder in 30, 40 Jahren Europa eine automatisierte Gesellschaft hat, in der der Überfluss an Gütern und speziell an Konsumgütern herrscht.


Aber es ist nicht nur deshalb von den Problemen der Überflussgesellschaft zu reden, weil wir schon gerade am Anfang dieser Gesellschaft stehen, sondern vielleicht noch mehr aus dem Grunde, weil in der Tat ein neues Menschenbild die Welt erobert, eine neue Phantasie die Welt erobert, von Amerika, Europa, bis zur Sowjetunion und bis zu den kleinsten neuen Staaten in Afrika, und das ist, dass Ideal des konsumierenden Menschen.


Das Ideal eines neuen Menschentyps, für den sie mir gestatten vielleicht, einen lateinischen Namen zu prägen, nämlich der Homo Konsumens …
Ob es den Homo Sapiens überhaupt noch gibt, dass kann man vielleicht bezweifeln, denn wenn man den Homo Sapiens definieren will, dann ist er ein Mensch, der seine Vernunft benutzt, als Mittel zum Überleben. Nun in einer Situation in der Große, Mächtigere die Vernunft benutzen, ihr überleben in Frage zu stellen, in der die größten Kräfte der Vernunft benutzt werden um uns an den Rand der Zerstörung zu bringen, da mag man in der Tat bezweifeln, ob der Mensch noch ein Homo Sapiens ist, oder ob er schon aufhört das zu sein.
Was man aber nicht bezweifeln kann, ist, dass der Mensch beginnt ein Homo Konsumens zu werden. Der totale Konsument und das dieses Menschenbild, diese Vision, wenn man das so sagen dürfte, fast wie eine neue religiöse Vision ist. In der der Himmel wie ein großes Warenhaus ist, in dem jeder Mensch sich jeden Tag neues kaufen kann und alles was er will und sogar ein bisschen mehr als sein Nachbar.
Diese neue Vision des totalen Konsumenten ist ein neues Menschenbild was die Welt erobert…


Die gesamte Lesung im unteren Video.

Mehr von Erich Fromm.


Die narzisstische Selbstspiegelung des Menschen

Durch den Drang nach Konformität und die entfremdete Arbeitsweise entsteht im Menschen ein „Loch im Selbst“. Dieses wird ferner verstärkt durch den etablierten Gesellschafts-Charakter, der in der heutigen Gesellschaft ein Leben nach außen hin als gesunde Lebensweise vorgibt und auf die Möglichkeit verweist, innere Gefühle der Leere oder Unsicherheit durch die Vielzahl kultureller Opiate zu überdecken. Das Ergebnis dieser Lebensweise ist eine narzisstische Selbstspiegelung des Einzelnen.
Durch das ständige Ablenken vom eigenen Innern ist man sich seiner inneren Kräfte nicht mehr bewusst und erfährt sich somit nicht mehr als Initiator seines Handelns. Das eigene Handeln wird vielmehr durch von außen wirkende Kräfte gesteuert. Auf diese Weise ist es unmöglich, ein gesundes Selbstbewusstsein aufzubauen. Stattdessen kommt es zu einem pseudogesunden Selbstbewusstsein, bei dem der Einzelne sein Selbstwertgefühl auf seiner sozio-ökonomischen Rolle aufbaut.
Hierdurch hat sich in unserer Gesellschaft auch in mentaler Hinsicht eine bizarre Marketing-Orientierung ergeben. Für den Einzelnen ist sein Dasein zu einer Art Ware geworden, die im Spiegel des sozialen Echos einen gewissen Wert erlangt: „Sein Körper, sein Geist und seine Seele sind sein Kapital, und seine Lebensaufgabe besteht darin, diese vorteilhaft zu investieren, einen Profit aus sich zu ziehen.“
Ihren höchsten Ausdruck hat dieser Wunsch nach einer spiegelnden Aufmerksamkeit in den Massenmedien gefunden. Egal ob die Teilnahme an Talk- und Realityshows oder die Vielzahl persönlicher Homepages, alles spricht für den Drang, ein sekundäres Selbstwert-gefühl zu erlangen, indem man das Interesse anderer Menschen weckt.


Der Massenkonsum
Der entfremdete Mensch wird vielmehr von äußeren Einflüssen statt inneren Strebungen gelenkt. Insofern dient auch der Konsum nicht mehr dazu, sich selbst einen Wohlgefallen zu tun, sondern es geht vielmehr um „die Befriedigung von künstlich stimulierten Phantasievorstellungen“, die vor allem durch die Massenmedien an den Menschen herangetragen werden. Da diese scheinbare Befriedigung die tatsächlichen menschlichen Bedürfnisse des Einzelnen jedoch unbefriedigt lässt, hat sich in der heutigen Gesellschaft eine regelrechte Konsumsucht etabliert.
Das Bedürfnis nach Massenkonsum erzeugt im Gesellschafts-Charakter den Drang, „daß jeder Wunsch sofort befriedigt werden muß und kein Verlangen frustriert werden darf“. Dadurch ist der moderne Mensch weitgehend unfähig geworden, seine Wünsche auf-schieben zu können, auch wenn diese nur von der Wirtschaft vorgegeben sind.
Anstatt sich mit Konflikten mit dem eigenen Selbst auseinanderzusetzen, beschäftigt sich der Einzelne ständig mit einem neuen Vergnügen aus der breiten Palette kultureller Opiate. In der heutigen Gesellschaft besteht also nicht einmal mehr die Notwendigkeit, sich seiner selbst bewusst zu werden.

Selbstbewusstheit kann aber durch Meditation erzeugt werden.
Durch Auseinandersetzung mit den "inneren Aspekten" der "Persönlichkeit".


Erich Fromm, Psychoanalytiker und Schriftsteller, * Frankfurt am Main 23. 3. 1900, † Muralto (bei Locarno) 18. 3. 1980; arbeitete zunächst am Frankfurter Institut für Sozialforschung; emigrierte 1934 in die USA (1940 eingebürgert); Professor (ab 1935) u. a. an der Michigan State University, an der Universidad Nacional Autónoma de México und an der New York University; ab 1965 Hauptwohnsitz in Muralto.
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Quellen: PRAVDA-TV/Wikipedia/eDysfunktion/Erich Fromm vom 29.06.2013