Bärbel Mohr ist tot

Donnerstag, den 11. November 2010 um 10:18 Uhr

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Bärbel Mohr: ein Tod im Schatten des Universums

Ein Kommentar von Martin Frischknecht

Was für eine Woche! Das US-amerikanische Wahlvolk legt seinem Präsidenten, der vor zwei Jahren glanzvoll antrat, den Wandel zu bringen, schwere Steine in den Weg und schickt eine Blockade-Mehrheit konservativer Widersacher ins Parlament. Bärbel Mohr, die esoterische Bestseller-Autorin, die mit ihrem Ratgeber «Bestellungen beim Universum» ein Millionenpublikum erreichte, verstirbt im Alter von 46 Jahren überraschend an Krebs. Und Ruediger Dahlke bespricht auf unserer Website das neue Werk von Rhonda Byrne, die vor einigen Jahren mit «The Secret» eine beispiellose Welle von Esoterikratgebern im Stile von «Denk dich glücklich und reich!» lostrat.

«The Power», das in diesem Herbst veröffentlichte Werk, unterbietet seinen Vorgänger noch an Einfalt und veranlasst unseren Rezensenten zur Feststellung: «Rhonda Byrnes Weltbild ist wirklich einfach: Positiv sei alles, was wir wollen und lieben, negativ alles, was wir nicht wollen und nicht lieben. So leicht ist es! Darüber hinaus empfiehlt sie, alle negativen Worte aus dem Vokabular zu streichen, kritische Gedanken sowieso und nur noch positiv zu denken. Der Schatten lässt dann später grüßen.»



Mir geht die Nachricht von Bärbel Mohrs Tod nahe. Ich habe die deutsche Autorin und Seminarleiterin nicht persönlich gekannt. Nur einmal hatte ich das Vergnügen, einen kurzen Text von ihr zu veröffentlichen. Ganz offensichtlich war sie ein Mensch von ansteckender Lebensfreude. Sie vermochte mit ihrer weltoffenen Experimentierfreude Millionen von Menschen für neue Inhalte und eine positive Ausrichtung des Lebens zu begeistern. Und sie scheute sich nicht, das, was sie propagierte, für alle sichtbar zu leben. Ihre Erfahrungen mit dem Bestellen und Herbeiwünschen eines neuen Mannes teilte sie mit aller Welt, später lüftete sie die Decke ihres Ehebettes und liess Ratsuchende an ihren erotischen Erfahrungen teilhaben. Diese unbekümmerte Frische machte sie nahbar und glaubwürdig, damit konnte sich ihre Leserschaft identifizieren.

Mit den Millionenauflagen ihrer Bücher, mit deren zahlreichen Übersetzungen und mit ihrem enormen Erfolg in Beruf und Privatleben bewies diese Frau, wie bei Ratgeber-Autoren und Therapeuten so üblich, kraft des eigenen Lebens die Wahrheit ihrer Aussagen. «Seht her! Wenn ihr es macht, wie ich es euch sage, seid ihr glücklich und erfolgreich, wie ich es bin», schien sie mit jedem ihrer Auftritte zu verkünden. Die Methode «Der Mensch ist die Botschaft» hat den Vorteil, dass wir alle selber sehen, hören und am lebendigen Beispiel überprüfen können, ob einer auch tatsächlich lebt, was er mit seinen Worten verbreitet.

Doch als es ihr schlecht ging, ist sie verstummt. Über ihre Krankheit mochte sie weder schreiben noch reden. Auf ihrer Website steht seit rund einem Jahr die lapidare Mitteilung, Bärbel Mohr habe nach acht Jahren unermüdlichen Schaffens alle ihre öffentlichen Verpflichtungen abgesagt. Sie brauche eine intensive Auszeit und mache eine längere Pause. Heute wissen wir: Die Erfolgsautorin litt an Krebs und rang mit dem Tod. Stumm und leise. Was sie in den letzten Monaten ihres Lebens unmittelbar betraf, was sie im Innersten umtrieb, darüber hat sie geschwiegen. Sie, die allseits begehrte Vortragsrednerin, Seminarleiterin und Autorin, die Erfolgsfrau, der die Herzen von überall zuflogen, stand mit einem Mal ganz alleine da und rang mit einem Geheimnis

Warum? Die Antwort ist so einfach wie erschreckend: Bärbel Mohr schwieg, weil Krankheit in ihrem System drin einem Versagen gleichkommt. Bist du krank? So bestell dir Gesundheit! Bist du immer noch krank? Dann hast du falsch bestellt. Dann solltest du richtig wünschen, mit ganzen Herzen musst du wünschen. Dann musst du dich tiefer selbst lieben, und du musst mit jeder Zelle deines Körpers in Resonanz gehen zu Gesundheit und Glück. Mach mal! Tue es richtig, tue es ganz! Stellt sich das erwünschte Ergebnis nicht ein, so hast du es falsch getan.

Da die Propagandistin solchen Denkens mit dem eigenen Leben dafür einsteht, dass es auch funktioniert, hat sie vor den Leuten zu strahlen. Sie strahlt vor Erfolg, vor Glück und vor Gesundheit. Alles andere in ihrem Leben wird ausgeblendet oder zumindest dem Publikum nicht gezeigt. Würde die eigenen Zweifel, das eigene Versagen, würden kleine und grössere Gebresten dem Publikum sichtbar gemacht, so wäre das zwar sehr menschlich und überaus verständlich, hauptsächlich aber wäre es geschäftsschädigend. Es würde den Wert der eigenen Botschaft in Frage stellen und die Vermessenheit des umfassenden Anspruchs enthüllen, und das wäre schlecht für den Absatz.

Habe ich damit gesagt, «Bestellungen beim Universum», «The Secret» und all die vielen Propagandaschriften zum Resonanzgesetz seien unmenschlich? Allerdings. Aber ich sage es nicht als Anklage gegen die Damen und Herren Verfasser, ich sage es aus Trauer um Bärbel Mohr. Zustimmung finden nur so lange man strahlt und begeistert und sich nicht trauen, anderen auch Schwierigkeiten und Schatten von sich zu zeigen, das ist traurig. Mir kommt es vor, als habe sich da ein Mensch unter Beifall das eigene Gefängnis gemauert, und gerade weil so viele zuschauten und applaudierten, gab es keinen Ausweg mehr.

Was aber hat das mit den Parlamentswahlen in den USA zu tun? Mit seiner gebetsmühlenhaft wiederholten Affirmation «Yes, we can» installierte sich Barack Obama vor zwei Jahren unter Jubel zum obersten Positivdenker und Gesundbeter seiner Nation. Obwohl das von den Medien sträflich vernachlässigt wird, konnte der US-Präsident seitdem zwar keine Wunder, aber durchaus Erfolge verzeichnen. Ende Woche wurden positive Zahlen aus dem US-Arbeitsmarkt bekannt. Doch Tage zuvor wurde der Präsident vom Wahlvolk abgestraft. Ins Parlament gewählt wurden Hinterwäldler und ultrakonservative Republikaner, lauter Leute, die darauf eingeschworen sind, jeden Fortschritt in ihrem Land zu verhindern. Als wären sie über den eigenen Mut erschrocken, buchstabieren die Amerikaner zurück.

Geradezu schreiend sichtbar zeigt sich damit der Schatten der Begeisterung und des hoffnungsvollen Aufbruchs von 2008. Schon damals, als der neue Präsident gewählt wurde, bestand Anlass zur Befürchtung, der charismatische Mann könnte einem Attentat zum Opfer fallen oder durch eine Intrige aus dem Amt gemobbt werden. Doch Barack Obama lebt noch; im Verlaufe der weiteren Amtszeit wird er nicht darum herumkommen, sich mit seinem politischen Gegenpol zu beschäftigen und die Schatten, die er rief, zu integrieren. Wenn es für sein Land noch Aussicht auf Erholung gibt, so wird der Prozess der Gesundung gerade darin liegen, die beiden Pole zu umfassen und zu versöhnen.

Quelle: Spuren. Magazin für neues Bewußtsein