Die Wirkung des Fernsehens auf das Bewusstsein

Freitag, den 28. November 2014 um 10:46 Uhr

Drucken

QUELLE: https://fassadenkratzer.wordpress.com  28. November 2014

Im Jahr 2013 haben sich nach Angaben der ARD täglich insgesamt 24,81 Millionen Menschen bei einem öffentlich-rechtlichen oder privaten Fernsehsender eine Nachrichtensendung angesehen, um sich über das Neueste in der Welt zu informieren.(1)  Das Fernsehen ist in der Hand der Herrschenden vor Radio und Zeitung das einflussreichste Medium  auf das politische und gesellschaftliche Bewusstsein der Massen.Wenn auch die oft kolportierte Aussage des früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder, er brauche zum Regieren nur “Bild, BamS und Glotze”, offiziell nie bestätigt worden ist, so bringt sie doch treffend den machtpolitisch instrumentellen Charakter der Medien zum Ausdruck (siehe: Der Journalismus).


Im vorangehenden Artikel Der folgsame Mensch ist bereits Grundsätzliches zur Wirkung der Medien, insbesondere auch des Fernsehens, entwickelt worden. Das Fernsehen nimmt jedoch im Reigen der Medien insofern eine Sonderstellung ein, als allein schon die elektronische Natur der laufenden Fernsehbilder, völlig unabhängig von ihrem Inhalt, eine lähmende Wirkung auf das Bewusstsein ausübt. Dies ist den Menschen im allgemeinen nicht bewusst, wird von manchen sicher dumpf empfunden, ist aber nur speziellen Medienforschern und Pädagogen genauer bekannt. Darüber breiter aufzuklären ist daher dringend erforderlich.

Die Übertragungstechnik

Die älteren Fernsehgeräte mit den Elektronenröhren sind inzwischen weitgehend von den neuen Flachbildgeräten abgelöst worden, die mit einer anderen Technik der Bilderzeugung arbeiten. Trotzdem soll hier von der Technik der älteren Fernsehgeräte ausgegangen werden, da sie ihre Wirkung die ganze zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts entfaltet haben und physiologisch ähnliche Wirkungen auftreten wie bei den Elektronenröhren, so dass wir zunächst auf die an diesen gemachten Untersuchungen zurückgreifen können. Das kann hier natürlich nur in einer stark vereinfachten Form geschehen.

Die meisten Fernseh-Konsumenten halten das elektronisch erzeugte Fernsehbild für ein Bild wie jedes andere. Das ist aber ein Irrtum. Es hat eine eigentümliche Qualität, die mit seiner technischen Entstehung zusammenhängt.

Während Kino- und Diaprojektoren vollständige Bilder auf die Leinwand werfen, vermag die im Fernseher oder Computer verwendete Elektronenröhre grundsätzlich kein vollständiges Bild zu erzeugen. Es gibt in ihr nur einen einzigen, von der Kathode ausgehenden Elektronenstrahl, der beim Aufprall auf die Mattscheibe einen winzigen Leuchtpunkt erzeugt. Dieser eine Leuchtpunkt wird mithilfe von Ablenkspulen Schritt um Schritt über die gesamte Schirmfläche geschickt, wobei er einem festgelegten Rastersystem folgt, das aus 625 Zeilen zu je 833 Bildpunkten besteht (so die europäische Norm PAL). Während seines Durchgangs durch das Raster reproduziert der Elektronenstrahl Punkt für Punkt den von der Fernseh- oder Videokamera vorgegebenen Farb- und Helligkeitswert, sodass in einer Art Mosaik das Bild aus 625 x 833 Einzelpunkten zusammen-gesetzt wird. Das alles vollzieht sich mit unvorstellbarer Geschwindigkeit: Die 520.625 Rasterpunkte bedient der Leuchtstrahl 25-mal in der Sekunde, das bedeutet eine Leistung von rund 13 Millionen Punkten pro Sekunde! Konkret ist es allerdings so, dass zwar 25 Bilder pro Sekunde gesendet werden, jedoch jedes Bild in zwei Raten oder Teilbildern: Zuerst schreibt der Elektronenstrahl von oben nach unten alle ungeradzahligen Zeilen auf den Schirm, dann in einem zweiten Durchgang alle geradzahligen Zeilen. Statt 25 Ganzbildern werden also 50 unvollständige Bilder dargeboten, von denen jedes zu seinem Aufbau 1/50 Sekunde benötigt.(2)

Unsere Augen versuchen nun dieses fortwährend unvollständige elektronische Bild rasch abzutasten, um sich einen Gesamteindruck zu verschaffen. Doch ehe die Fixation überhaupt beginnen kann, sind die Leuchtpunkte verglommen und der Elektronenstrahl ist längst weitergeeilt. Es gibt nichts abzutasten. Die Augen springen zu einem anderen Fixationspunkt – und scheitern erneut. Was eben noch hell leuchtete, ist im Nu wieder verschwunden. Das Teilbild verglimmt bereits, noch während es gezeichnet wird.

Die Augen können springen, wohin sie wollen, nirgends finden sie ein bleibendes Objekt, das sich abtasten ließe. Der rasende Leuchtpunkt ist stets schneller. (…) Bevor (…) die Augen Gelegenheit hatten, sich durch eigene Bemühung ein Bild zu verschaffen, ist das vom Kathodenstrahl gezeichnete Mosaikbild längst auf der Netzhaut angekommen, und dort hat es längeren Bestand als auf dem Bildschirm, weil die Netzhaut zu träge ist, um dem rasenden Lichtpunkt folgen zu können. Das vollständige, gleichmäßig ausgeleuchtete Bild, das wir auf dem Schirm zu sehen glauben, existiert in Wahrheit nur auf der Netzhaut.(3)

Die Bildschirmtechnik verfährt ähnlich wie die Drucktechnik mit ihren Rastermethoden, nur dass dort statische, hier bewegte Bilder erzeugt werden. Diese überlisten jedoch den Betrachter nicht nur durch die dichtgedrängte Fülle winzig kleiner Punkte, die fließend ineinander übergehen; sie  unterwerfen das menschliche Auge darüber hinaus einer fundamentalen Täuschung, die unbewusst bleibt: „Jeder, der ein Fernsehbild sieht, nimmt selbstverständlich an, das Bild sei auf der Mattscheibe. In Wirklichkeit ist dort überhaupt kein Bild! Die Fläche bleibt ständig leer; nur ein einziger leuchtender Punkt blitzt auf, wo der Kathodenstrahl auf die Mattscheibe trifft.“ Und der eilt in 625 Zeilen über den Schirm und schießt uns dabei alle 520.625 Helligkeitswerte der Reihe nach auf die Netzhaut. Schon nach 1/50 Sekunde hat er den Durchgang geschafft und beginnt von neuem. „Solch rasender Geschwindigkeit kann das Auge nicht folgen, und so kommt es uns vor, als seien die nacheinander aufblitzenden Punkte alle gleichzeitig auf dem Schirm und bildeten dort ein Mosaik. Das Bild, das wir zu sehen glauben, entpuppt sich als Bild-Phantom, das nur im inneren Erleben sich einstellt, nicht aber außer uns existiert. (…) Da das Phantom jedoch von außen erzeugt wird, kann niemand es von echten Sinneseindrücken unterscheiden. Selbst wenn man von der Täuschung weiß, ist man gegen sie machtlos.“ (4)

Wirkung auf das Bewusstsein

Das Bild auf der Mattscheibe entzieht sich also ständig dem Zugriff des Auges, da die Helligkeitswerte immer wieder verschwinden. Die Rasterpunkte, die das Auge auf der Mattscheibe vergebens sucht, stellen sich indessen auf der Netzhaut ein – jedoch unter weitgehender Ausschaltung der Augenaktivität. „Dazu kommt ein völliger Stillstand der Akkomodationsbewegungen, also jener Drehungen der Augäpfel, mit denen der Kreuzungswinkel zwischen den Sehachsen immer neu den sich ändernden Entfernungen angepasst wird. … Beim Fernsehen bleibt die Entfernung immer gleich, und so wird die einmal eingestellte Augenhaltung bewegungslos festgehalten, solange der Blick auf die Mattscheibe gerichtet bleibt.“ (5)

Was aber geschieht nun, wenn die Abtastbemühungen fortwährend ins Leere greifen und sich das Rasterbild auch ohne sie auf der Netzhaut einstellt? Die sonst so lebhafte Augentätigkeit ist sinnlos geworden und weicht einer hochgradigen Passivität. Der Blick erstarrt zu dem bekannten Fernseh-Blick. Nicht zu Unrecht hat der Volksmund das Gerät, das eine so widernatürliche Sehhaltung erzwingt, «die Glotze» genannt. Jedoch ist es ein Irrtum zu meinen, das Glotzen sei eine Schwäche des Zuschauers; der glotzende Blick wird durch die Technik der Bilderzeugung, die im Fernsehgerät Verwendung findet, vom ersten Augenblick an erzwungen, und niemand kann sich diesem Zwang entziehen. Verständlicherweise wehrt sich das Bewusstsein des Fernsehkonsumenten gegen solche Erkenntnisse, weil er doch an sich selbst gar keine Veränderungen bemerkt und sich nach wie vor für völlig frei und aktiv hält. Leider aber beweisen die bisher vorliegenden Untersuchungen das Gegenteil.“  Die Augenaktivität ist herabgesetzt und die Pupillenweite, „die in der Forschung als Anzeiger für den Grad der Gehirnaktivität (cortikale Aktivierung) und der Wachheit gedeutet wird“, verengt sich.(6)

Die sonst so lebhafte Augentätigkeit erlahmt also zur völligen Passivität. „Geht aber die Augentätigkeit gegen Null, überträgt sich die Starre der Augen auf den ganzen Körper, und selbst bewegungsfreudigste Kinder sitzen stundenlang still.“(7) Die Starre der Augen, bei der sich die Augenachsen nicht mehr kreuzen, bewirkt eine Abdämpfung des Bewusstseins. Wir schauen zwar noch offenen Auges hinaus, doch das Bewusstsein hat sich sozusagen ins Innere zurückgezogen. Wir kommen ins Dösen oder Träumen. Die Art der Bilderzeugung zwingt uns auf rein physiologischem Wege in eine dösend-schläfrige Haltung, unabhängig davon, wie interessant und spannend die Bilderfolge sein mag. „Wir mögen uns auch noch so wach und aktiv fühlen, das alles ändert nichts daran, dass wir körperlich in einen Zustand der Geistesabwesenheit versetzt werden.“ (8)

Eine australische Forschergruppe hat dies auch experimentell nachgewiesen, in dem sie Versuchspersonen an ein EEG anschloss, das den Verlauf der Gehirnströme vor, während und nach dem Fernsehen festhielt. Sobald das Bilder-Sehen begann, ging die rege Aktivität der Gehirnwellen drastisch zurück. „Die für den Wachzustand charakteristischen Beta-Wellen verschwanden, stattdessen breiteten sich die wesentlich langsameren Alpha-Wellen aus. … Ob die Sendung mit lebhaftem Interesse oder gleichgültig aufgenommen wurde, spielte kaum eine Rolle, die Verlangsamung zum ´Alpha-Zustand` trat in jedem Fall ein. Sie ist demnach nicht als Reaktion auf den Inhalt der Bilder zu deuten, sondern als naturgesetzliche Antwort des Gehirns auf den technischen Vorgang der Bilderzeugung durch das Gerät; sie gilt dem Medium als solchem.“(9)  Die Forscher konstatierten: „Fernsehen findet auf der Bewusstseinsebene des Schlafwandelns statt.“(10)

Man fühlt sich völlig wach und steht nichtsdestoweniger im Bann des Bilderstroms, der durch den willenlos gewordenen, hohlen Blick wie durch eine Pipeline auf die Netzhaut fließt. Dieser außengesteuerte Zustand zwischen Wachen und Schlafen ist wohl am ehesten mit einer Hypnose vergleichbar, jenem Ausgeliefertsein an einen fremden Willen, gegen das sich der Betroffene gar nicht wehren kann. Tatsächlich zeigt das EEG während der Hypnose ganz ähnliche Symptome wie beim Fernsehen.(11)

Weniger Kalorienverbrauch als beim Nichtstun

In den USA hatte sich Ende des vorigen Jahrhunderts die Erkenntnis durchgesetzt, dass die ungeheuer zunehmende Fettleibigkeit bei Kindern und Jugendlichen in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Fernsehkonsum steht. 1992 stellten amerikanische Forscher bei 31 Mädchen von acht bis zwölf Jahren, von denen 16 normales Gewicht und 15 Übergewicht hatten, eine Untersuchung an, in der sie zunächst die Energiemenge maßen, die im Ruhezustand auf einem bequemen Bett zur Aufrechterhaltung der Körperfunktionen verbraucht wird. Erwartungsgemäß sank der Kalorienverbrauch etwas gegenüber der Ausgangsmessung. Unerwartet sank er aber dramatisch weiter, als den Kindern ein 25minütiger populärer Fernsehfilm gezeigt wurde.

Bei allen Kindern wurde eine Verringerung um rund 12 bis 16 % gegenüber dem Ausgangswert gemessen, im Schnitt knapp 14%. Mit anderen Worten: Obwohl sich der Körper schon vor dem Fernsehen im Zustand absoluten Nichtstun befand, sank der Kalorienverbrauch durch den Blick auf die Mattscheibe nochmals, und diesmal erheblich, ab. Demnach werden bei einem Fernsehabend weit weniger Kalorien verbrannt als beim absoluten Nichtstun, gleichzeitig greift man gerne zu äußerst kalorienhaltigen Snacks und Süßigkeiten. Da ist es kein Wunder, dass die Fettsucht grassiert. Und noch eine schlechte Nachricht für Übergewichtige: Bei dem Experiment waren die übergewichtigen Mädchen ungleich stärker vom Rückgang des Kalorienverbrauchs betroffen als die schlanken Altersgenossinnen. (…) Der Bildschirm versetzt also nicht nur das Bewusstsein in einen Dämmerzustand zwischen Schlafen und Wachen, sondern auch den gesamten Stoffwechsel des Menschen. Dazu passt der Bericht von Bodanis, dass sich vor dem Fernsehgerät der Herzschlag um 10% vermindert, also um etwa sieben Schläge pro Minute, in der Stunde um 420 Schläge.(12)

Der geführte Traumblick

All dies sind Anzeichen einer gewaltsamen Dämpfung der Eigenaktivität, die das Bewusstsein eigentlich sehr rasch in einen Dämmerzustand nahe dem Einschlafen führen müsste. Doch dem wird von der Programmseite her entgegengewirkt, indem immer aufs Neue die Aufmerksamkeit stimuliert wird, um den Zuschauer wach zu halten.

Häufige Schnitte, Um- und Überblendungen, Kameraschwenks und Zoombenutzung, Standort-, Situations- und Szenenwechsel sind dazu die probatesten Mittel. Sie sorgen dafür, dass der Zuschauer schwerelos wie im Traum durch Raum und Zeit gleiten kann, einmal aus der Vogelperspektive blickend, ein andermal aus der Froschperspektive, hier verweilend und dort verweilend, Einzelheiten fixierend, dann wieder ins Weite schweifend und so weiter. Ein Traum ist es in der Tat. Denn faktisch rührt sich der Blick des Zuschauers nicht von der Stelle, und den willentlichen Griff in die Welt hinaus vollführt jetzt die Kamera. An ihrer Blickführung hängt das starr gewordene Auge wie die Marionette am Faden. Freilich wird das nicht bemerkt. Denn mit der gleichen Leichtigkeit und Freiheit, mit der sich das Auge außerhalb des Bildschirms nach allen Seiten wendet, wird es auch von der Kamera durch die Welt geführt; man muss nicht einmal den Kopf bewegen. Das aber heißt: Der Sehwille wird an die Maschine abgegeben, und die gaukelt der Marionette vor, es sei ihr eigener Wille, der hier tätig ist.(13)

Die Technik der Flachbildschirme

Auch der Flachbildschirm setzt wie das Röhrengerät das Bild aus Tausenden von Einzelpunkten zusammen. Doch „bestehen die Bildpunkte (Pixel) aus winzigen Leuchtquellen, die fest installiert sind und wie Lampen ein- und ausgeschaltet werden können. Daher muss der leuchtende Punkt nicht ständig erneuert werden, sondern kann (…) eingeschaltet bleiben, solange sich an dem darstellenden Bild nichts ändert.“ Dadurch leuchten bei einem Standbild sämtliche Pixel permanent und ergeben ein ruhiges Bild, das die Augen nach Belieben abtasten können. Das ist ein Fortschritt, der dem Arbeiten am Computer, bei dem dieselbe Übertragungstechnik besteht, zugutekommt. Bei allen laufenden Bildern müssen aber die meisten oder gar alle Leuchtpunkte stets neu programmiert werden. „Es sind also keine Ganzbilder mehr zu sehen, die das Auge abtasten könnte, sondern ständig neu sich aufbauende Bilder, nicht anders als beim alten Röhrengerät.“(14)  Der Aufbau erfolgt nur noch mit viel mehr Bildpunkten in einer höheren Geschwindigkeit.

Das bedeutet, dass die physiologischen und im Gefolge die bewusstseinsdämpfenden Wirkungen, die oben beschrieben wurden, hier ebenso eintreten.

Fazit

Aus dem Geschilderten wird deutlich, dass allein schon das technische Medium Fernsehen als solches, unabhängig vom Inhalt, eine Herabdämpfung des Bewusstseins bewirkt, in dem ein eigenes aktives Denken zur Durchdringung des Aufgenommenen kaum stattfinden kann. Hinzu kommen ja noch die speziellen Manipulationsmöglichkeiten der verschiedenen Kameraeinstellungen, des Einsatzes emotional aufgeladener Bilder usw.(15)

Dies ist ein ungeheuer bedeutsames gesellschaftliches Problem. Solange man nicht durchschaut, was beim Fernsehen unterhalb der Bewusstseinsschwelle mit uns geschieht, so lange beherrscht nicht der Mensch das Gerät, sondern das Gerät den Menschen, bzw. es beherrschen ihn diejenigen, die über das Gerät auf ihn einwirken. Ohne dass die Menschen aufwachen und Gegenmaßnahmen ergreifen, besteht kaum Aussicht, den Mechanismus der Massenlenkung zu stoppen.