Panama-Papiere: USA etablieren sich als neue Steueroase und destabilisieren die aufstrebende geopolitische Konkurrenz

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Markus Gärtner 

Die Panama-Papiere schlagen seit Tagen weltweit hohe Wellen. Zugespielt wurden sie führenden Publikationen der westlichen Mainstream-Presse, die seit dem vergangenen Sonntag mit immer neuen »Enthüllungen« über prominente russische, chinesische oder isländische Politiker aufwarten. Doch es wird immer deutlicher, worum es bei dem angeblichen »Datenleck« wirklich geht. 


Es ist nicht nur eine gezielte Attacke gegen Russland und Präsident Putin, wie WikiLeaks in einem Tweet offenbart, sondern eine wohl orchestrierte Kampagne der USA mit zwei vorrangigen Zielen: Erstens, alle anderen Steueroasen auf dem Planeten zu diskreditieren und die eigene Position als das neue Steuerparadies der Welt zu zementieren, damit der Dollar seine Führungsrolle besser verteidigen kann. Und zweitens, mit den Enthüllungen vor allem die Führung in Russland und China zu destabilisieren.

Das wird vor allem bei der Lektüre von Artikeln in den Sturmgeschützen der westlichen Mainstream-Presse deutlich. Der britische Guardian berichtet heute ausführlich, die Panama-Papiere würden Offshore-Geheimnisse der chinesischen Führung entlarven. Acht Top-Politiker in der »Roten Nobilität« von Chinas Führungsriege, deren Familienmitglieder Briefkastenfirmen genutzt haben sollen, würden durch die Panama-Papiere belastet.

Seit Tagen wird Ähnliches über den inneren Zirkel von Wladimir Putin berichtet. China und Russland sind die beiden führenden geostrategischen Rivalen der USA. Dass sie in der BRICS-Gruppe zusammen immer neue Initiativen wie die mit 100 Milliarden Dollar ausgestattete Investitionsbank starten – und daran arbeiten, den US-Dollar als führende Reserve- und Handelswährung abzulösen –, gibt den USA ein starkes Motiv, sie zu attackieren. Der Finanzsektor ist nur eine Front in diesem eskalierenden geostrategischen Wettkampf.

Dabei fällt auf, dass unter den Prominenten, auf die sich die medialen »Enthüller« im Recherche-Netzwerk ICIJ seit der ersten Minute am Sonntag einschießen, bisher außer dem zurückgetretenen isländischen Ministerpräsidenten Sigmundur Davíðd Gunnlaugsson keine Europäer, US-Amerikaner oder aus der übrigen NATO stammenden Top-Politiker sind.

Man muss sich das einmal vor Augen halten: Die bisher »größte Enthüllungsgeschichte« in der Geschichte der Medien dringt bis ins chinesische Politbüro und in den Dunstkreis des Kreml vor, kann aber so gut wie keine westlichen Finanzjongleure oder Top-Politiker vorweisen? Kein Wunder, dass bis hin in US-Blogs gefragt wird, wo eigentlich die Geldwäscher und Steuervermeider aus Amerika geblieben sind.

Bei so einseitiger Enthüllung drängt sich natürlich die Frage auf, wem die ganze Aktion dient und ob die Dokumente, die bislang niemand außer den Netzwerk-Journalisten offen einsehen kann, »ein Akt der Destabilisierung durch die westliche Welt« sind.

Aber selbst wer daran zweifelt, kommt um eine Beobachtung nicht herum: Die »Enthüllungen« kommen zu einem Zeitpunkt, zu dem aus dem Rest der Welt, vor allem den Schwellenländern, so viel Kapital abfließt wie seit vielen Jahren nicht mehr. Das viele Geld hatte dort Aktien, Anleihen und Immobilien gekauft, weil von Hongkong über Kuala Lumpur bis nach São Paulo und Mexico City größere Preissteigerungen und vergleichsweise hohe Zinsen eine bessere Rendite versprachen als an westlichen Börsen und Märkten. Dieser Schwellenland-Boom geht nun zu Ende. Und der enorme Abfluss von Kapital muss kanalisiert werden. Die USA wollen sich das größte Stück von diesem verlockenden Kuchen abschneiden.

Dies passiert zu einer Zeit, in der die USA selbst vor der nächsten Rezession stehen, der Dollar seine besten Zeiten gesehen hat und US-Anleihen nicht mehr überall auf der Welt als »sicherer Hafen« betrachtet werden. Da kann es nicht schaden, wenn man die Steueroasen dieser Welt kräftig durchschüttelt und einen Trend anheizt, den die Finanz-Nachrichtenagentur Bloombergschon im Januar dieses Jahres ausführlich und in schonungsloser Offenheit beschrieb: »Die USA sind die beliebteste neue Steueroase der Welt«, lautete die Schlagzeile. Die Abwanderung des Kapitals aus »den üblichen geheimen Offshore-Oasen in die USA« sei ein »brummendes neues Geschäft«.

Nachdem sie jahrelang andere Länder dafür traktiert hätten, dass diese amerikanischen Bürgern beim Verstecken ihrer Vermögen helfen, würden die USA nun als das neue globale Steuerparadies für reiche Ausländer aufsteigen. Anwälte in London und Trusts in der Schweiz haben demnach alle Hände voll damit zu tun, »Konten von Orten wie den Bahamas und den britischen Jungferninseln nach Nevada, Wyoming und South Dakota zu verschieben«. 

Der Zürcher Anwalt Peter Cotorceanu darf in dem Bericht den Klang des Geldes beschreiben, das »in die USA eilt«. Und das hat Folgen: Laut dem Rothschild-Manager Andrew Penney in San Francisco sind die USA bereits »effektiv das größte Steuerparadies in der Welt.«

Penney muss es wissen. Denn Rothschild, eines der ältesten und einflussreichsten Finanzhäuser aus Europa, hat unlängst in Reno, Nevada, einen neuen Trust in der Nachbarschaft der Kasinos »Harrah´s« und »Eldorado« eröffnet. Der neue Trust gehört zu jenen elitären Geld-Dienstleistern, die derzeit voll damit beschäftigt sind, die Vermögen wohlhabender Klienten aus internationalen Steueroasen nach Nevada zu dirigieren.

Und das wird äußerst dezent gemacht. Wer auf die Türschilder des ehemaligen US-Hauptquartiers von Porsche in Reno schaut, ahnt nicht, dass Rothschild im zwölften Stock residiert. Der Name taucht nicht im Firmenverzeichnis des Gebäudes auf. Doch im zehnten und zwölften Stock wird man fündig.

Wer im zehnten klingelt und mit dem Aufzug nach oben fährt (und dabei im sechsten Stock am lokalen US-Staatsanwalt vorbeifährt), der erreicht die Büros einer politisch gut verdrahteten Anwaltskanzlei, in der neben ehemaligen Top-Beamten von Nevada auch Lobbyisten und Kasino-Manager residieren. Seinen Schreibtisch hat dort unter anderem, so schilderte es Bloomberg, ein Steuer-Lobbyist namens Robert Armstrong. Er gilt als der führende Trust-Jurist des Bundesstaates und fungiert als ein Manager des Rothschild Trust North America.

Im Klartext: Die USA profitieren geräuschlos aber höchst effektiv von einem Trend, den sie selbst aus politischen Motiven erzeugt haben und dominieren: Unter dem Druck der USA hat die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) seit 2014 fast 100 Länder weltweit dazu gebracht, strengere Regeln für die Offenlegung von Bankkonten und Trusts mit internationaler Klientel zu akzeptieren. Die Schweiz und die Bermudas wurden unter großem Druck dazu gedrängt, mitzumachen.

Doch eine kleine Zahl von Ländern weigert sich, die neuen Regeln zu übernehmen, wie der Finanzblog ZeroHedge berichtet. Und siehe da: Der prominenteste dieser Verweigerer sind demnach die USA. Mehr noch: Im Jahr 2010 verabschiedete der US-Kongress den Foreign Account Tax Compliance Act (auch »Fatca« genannt), der internationale Finanzdienstleister zwingt, dem US-Fiskus die Konten von US-Bürgern im Ausland zu melden. Im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Fatca verklagte das US-Justizministerium Schweizer Banken, die betuchten Klienten Steuervermeidung ermöglicht haben sollen.

 Im Klartext: Die USA fahnden scharf nach dem Vermögen der US-Bürger im Ausland. Aber internationale Vermögen, die in die USA strömen, können sich sicherer denn je fühlen. Das Kapital, das anderswo in der Welt dem US-Fiskus offengelegt werden muss, strömt daher massiv in die USA, um genau diesem Fiskus zu entkommen.

Die US-Justiz und das Weiße Haus erweisen sich in diesem Zusammenhang als skrupellose und geschickte Panzerknacker, die etablierte Steueroasen aufbrechen und das Vermögen aus dem Rest der Welt verstärkt in jene Steueroasen dirigieren, die sie selbst in verschiedenen US-Bundesstaaten errichtet haben.

Die Panama-Papiere sind der eigens entfachte Nachbrenner, der diesem Kapitalstrom zusätzlichen Rückenwind in Richtung USA verschafft. Dass dies zu einem Zeitpunkt passiert, an dem die Führungsrolle des Dollars von den Öl-Exporteuren und der BRICS-Gruppe attackiert wird, ist alles andere als ein Zufall.

Wladimir Putin hat auf die Panama-Papiere am Mittwoch reagiert und angekündigt, dass er per Dekret eine große Zahl von teils klassifizierten Dokumenten aus den Jahren 1930 bis 1989 freigeben wird. Sein Versprechen, dass es sich um einige »sehr interessante Namen« handelt, lässt aufhorchen. Westliche Medien haben davon jedoch genau so wenig Kenntnis genommen, wie von den wahren Hintergründen des Panama-Leaks.


quelle: koppverlag